Eine Ausstellung ist eine Ausstellung ist eine …

… Ausstellung. Demnach gehörte auch unsere, von Groß und Klein begeistert aufgenommene, leider schon zu Ende gegangene Otfried-Preußler-Ausstellung definitionsgemäß zu den „wissenschaftlich orientierten Präsentationen, die einen Überblick über ein bestimmtes Thema geben und dabei Wissen vermitteln wollen“. Soweit eine kurze Definition, die Wikipedia zum Thema „Ausstellung“ anbietet.

Manchmal ist eine Ausstellung aber doch viel mehr als das. In Zusammenhang mit der Planung, Organisation und Durchführung einer Ausstellung ergeben sich hinter den Kulissen hin und wieder Situationen, die emotional sehr tief berühren können. So gab es in Zusammenhang mit den uns zur Verfügung gestellten Leihgaben eine Entdeckung, die für eine unserer Leihgeberinnen eine hohe persönliche Bedeutung hat. Und die uns ebenfalls sehr bewegt hat. Mit freundlicher Genehmigung der Leihgeberin, Frau Ina Otte, möchten wir diese Episode gern an dieser Stelle teilen.

Das prägendste und traumatischste Ereignis im Leben Otfried Preußlers war nach seinem eigenen Bekunden seine Kriegsteilnahme und die anschließende fünfjährige Kriegsgefangenschaft zwischen 1944 und 1949. Um den Überlebenswillen seiner Mitgefangenen unter den bittersten physischen und psychischen Bedingungen zu stärken, schrieb Preußler Gedichte, Novellen und Theaterstücke, die er mit seinen Mitgefangenen teilte und die von manchen auch aufgeschrieben wurden. So auch von Hans Jürgen Otte, einem Mitgefangenen im Lager Kasan, der im Lager Tagebuch führte. Um sich das Leben durch geistige Tätigkeit und durch die Hinwendung zur humanistischen Botschaft der Literatur schlicht erträglich zu machen, schrieb Otte neben persönlichen Erlebnissen auch Gedichte, Roman- und Dramafragmente auf und versah sie teilweise mit kleinen, hoffnungsvollen Zeichnungen.

Eichendorff-Gedicht aus den Tagebüchern © Familie Otte

Eichendorff-Gedicht aus den Tagebüchern
© Familie Otte

Die kleinen, zarten, in sorgfältiger Schönschrift ausgeführten Tagebücher wurden unter den allereinfachsten Verhältnissen und den größten Mühen hergestellt: Hans Jürgen Otte hat dafür Tabakpapier und das Papier von Zementsäcken geglättet, getrocknet und zurechtgeschnitten. Als Bindung dienten Fäden, die aus Handtüchern oder aus der eigenen Kleidung gezogen wurden. Trotz der Not und Mangel, die im Kriegsgefangenenlager herrschten, wurde jeder einzelne Band säuberlich in bunte Stoffreste gebunden. So entstanden insgesamt zwanzig Bände mit Lyrik und Prosa, die sich heute im Besitz der Familie befinden und von denen wir für die Otfried-Preußler-Ausstellung zwei Bände ausleihen durften.

Bei der Ausstellungseröffnung waren die Töchter von Hans Jürgen Otte anwesend und bei der Besichtigung der ausgestellten Tagebücher gab es eine große und ergreifende Überraschung: denn neben den beiden ausgeliehenen Bänden lag noch ein drittes handschriftliches Exponat in der Vitrine, das anhand der Objektbeschriftung eindeutig Hans Jürgen Otte zugeordnet war.

Was der Familie Otte bis dahin nicht bekannt war: Hans Jürgen Otte übergab in den 1980-er Jahren ein Heft mit seinen Aufzeichnungen aus der Kriegsgefangenschaft an Otfried Preußler. Dieses Heft wird deshalb als Bestandteil des Nachlasses im Privatarchiv der Familie Preußler aufbewahrt, seine Existenz und der Zusammenhang mit den bereits bekannten Tagebüchern wurde daher erst durch diese Ausstellung überhaupt bekannt.

Man kann als Außenstehende nur ahnen, was eine Familie fühlt, wenn Jahre nach dem Tod des geliebten Vaters unerwartet ein weiteres Zeugnis seines Lebens auftaucht. Ein Zeugnis zumal, das nicht nur von der bittersten persönlichen Not nach einem katastrophalen, sinnlosen Krieg, sondern auch vom unerschütterlichen Glauben an das Menschliche und vom Vertrauen in die zivilisatorische Kraft der Literatur zeugt.

Sehnsucht nach der Heimat, Lager Kasan (Gedicht von Karl Bröger) © Familie Otte

Sehnsucht nach der Heimat, Lager Kasan (Gedicht von Karl Bröger) © Familie Otte

Die Preußler-Ausstellung im Stabi Kulturwerk hat als wissenschaftliche Präsentation in über 200 Exponaten Leben und Werk Otfried Preußlers in all seinen Facetten beleuchtet und einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Sie war nicht nur in Zahlen ein Publikumsmagnet: davon zeugen zahlreiche begeisterte Kommentare im Gästebuch und auf unserer Feedbackwand sowie viele Kinderzeichnungen und -geschichten, die sich mit Preußlers Figuren beschäftigen. Wir hoffen, dass wir mit dieser Ausstellung sowohl für die Preußler-Forschung als auch für große und kleine Preußler-Fans neue Impulse für die Rezeption von Leben und Werk Otfried Preußlers geben konnten. Und sind darüber hinaus ein wenig stolz, dass wir eine Familie mit einem wichtigen Lebenszeugnis des Vaters posthum bekannt machen konnten. Nicht zuletzt: wir sind sehr dankbar dafür, diese persönliche und bewegende Geschichte mit allen teilen zu dürfen.

7 Kommentare
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    Dr. Andreas Gawgun sagte:

    Hier fehlt ein Hinweis auf die nicht aufgearbeitete Rolle Preußlers in der Zeit des Nationalsozialismus, vielmehr schmeckt es nach Täter / Opfer – Umkehr. Preußler war ein glühender Nationalsozialist und Kriegsfreiwilliger, somit Täter. Die anrührenden Beschreibungen der Widrigkeiten einer zumal Offiziersgefangeschaft (kein Arbeitszwang) dürfen das erlittene Leid der Überfallenen nicht unerwähnt lassen.

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      Julia Lausch sagte:

      Sehr geehrter Dr. Gawgun,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Mit Preußlers Haltung während des Nationalsozialismus haben wir uns in der Preußler-Ausstellung selbstverständlich auseinandergesetzt; u.a. hatten wir sein 1944 erschienenes Erstlingswerk „Erntelager Geyer“ ausgestellt und entsprechend eingeordnet.
      Mein Beitrag gibt ein persönliches, subjektives Erlebnis in Zusammenhang mit der Organisation der Ausstellung wieder. Der Fokus liegt hier auch nicht auf Preußler selbst, sondern auf einem Ereignis hinter den Kulissen der Ausstellung, das für eine Familie eine hohe menschliche und persönliche Bedeutung hat.
      Als eine sehr gute, fundierte Aufarbeitung der frühen, eher wenig bekannten Jahre Otfried Preußlers ist der Band „Carsten Gansel: Kind einer schwierigen Zeit : Otfried Preußlers frühe Jahre, Galiani, 2022“ (Signatur: KJ LS Cs 6757) sehr zu empfehlen.

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        Dr. Andreas Gawgun sagte:

        Ihre persönliche Rührseligkeit an dieser Stelle macht diesen Beitrag wissenschaftlich obsolet. Vielen Dank!

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          Frank Müllers sagte:

          Hallo Herr Gawgun,

          Frau Lausch hat Ihnen freundlich und vor allem sachlich und informierend geantwortet. Ihr Angriff auf ihre Person („Rührseligkeit“ als Vorwurf), aber auch die Ihre Arroganz selbst unterminierende Unfähigkeit zu einem differenzierten Umgang mit dem Begriff des „Täters“ – was unterscheidet nun genau einen Hitlerjungen mit seiner Begeisterung für Lagerfeuerromantik und Gemeinschaftsgefühl wie den damaligen 18/19jährigen Ottfried Preußler und dann auch Kriegsfreiwilligen, wie viele seines Jahrgangs, von einem SS-Mann und KZ-Kommandanten? – lassen Ihren eigenen Beitrag nicht nur als „obsolet“, sondern vor allem als eine ziemlich peinliche Selbstüberhebung erkennen, und das keineswegs nur in wissenschaftlicher Hinsicht.

          Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsbibliothek sind ebenso respektvoll und freundlich zu behandeln, wie sie uns als Nutzer gegenübertreten, und vor allem sind sie keine Abladestelle für Ihre persönlichen Frustrationen.

          Nutzen Sie diese lieber produktiv. Ich wünsche Ihnen eine ertragreiche „Stabi“-Tage.

          Mit freundlichem Gruß
          F. Müllers

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            Beate Winzer sagte:

            Die SS war eine verbrecherische Organisation, der zweite Weltkrieg war ein Vernichtungskrieg, der allein in Russland 27 Millionen Tote gefordert hat. Russland, Polen, Galizien, Wolhynien, Transnistrien und die Bukowina sind blutgetränkt. Im Mittelpunkt des Vernichtungskrieges stehen Holocaust und der Hungerkrieg gegen Russen, Patientenmord zwischen Saarlouis und in allen östlichen besetzten und annektierten Gebieten. Die Rolle Preußlers als beliebten Kinderbuchautors und Verbrecher kann nicht genug diskutiert werden; der eine Teil ist nicht vom anderen zu trennen. Leider gibt es diese trennung ständig, ich habe sie auch in der Ausstellung negativ bemerkt.
            Die Kriegsgefangenschaft deutscher Offiziere ist nicht mein Forschungsfeld, Johannes Bobrowski, über dessen NS Verbrechen erheblich weniger bekannt ist, hat sich aber dazu geäußert.
            Die Bedingungen aber unter denen Fernand Braudel sich im KZ Buchenwald zurechtfinden und die Grundlagen seiner Werke legen musste, waren aber unzweifelhaft erheblich schlimmer als die Otfried Preußlers.

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    Beate Winzer sagte:

    Ah Entschuldigung, Maurice Halbwachs wurde in Buchenwald inhaftiert (und ermordet) Fernand Braudel war in Kriegsgefangenschaft wie unter der Signatur
    1 A 890788 nachzulesen ist. l

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      Carola Pohlmann sagte:

      Sehr geehrte Frau Winzer,
      als Kuratorin der Ausstellung über Otfried Preußler in der Staatsbibliothek zu Berlin möchte ich auf Ihren Vorwurf eingehen, es sei nicht genügend zwischen der NS-Zeit und dem beliebten Kinderbuchautor unterschieden worden. Wir haben bewusst relativ breit über Kindheit und Jugend des Autors informiert, um deutlich zu machen, welche Prägungen er erfahren hat. In diesem Zusammenhang haben wir gezielt auch frühe Arbeiten von Otfried Preußler einbezogen, die während der NS-Zeit entstanden sind. Krieg und Lagerhaft stellen in Preußlers Leben eine Zäsur dar, die sein Leben tiefgreifend verändert hat und auch eine Grundlage seines späteren literarischen Werks bildet. Insofern gibt es durchaus eine Zeit vor und nach der Kriegsgefangenschaft, auch wenn es sich um denselben Menschen handelt. Preußler hat aus der Zeit der Lagerhaft (auch durch selbst erfahrenes Leid) gelernt und nach dem Krieg Kinderbücher geschaffen, die humanistische Werte vermitteln. Auch das wollten wir mit unserer Ausstellung deutlich machen. Ich gebe Ihnen aber insofern recht, als Leben und Werk von Otfried Preußler weiterhin zur durchaus kontroversen, aber immer sachlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung einladen. Dazu bildet sein Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin eine wichtige Quellenbasis.

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