Klaus Mann als Theaterkritiker: Kritiken aus den Jahren 1924/25
Gastbeitrag von Aviv Hilbig-Bokaer
Ich kann mir gut vorstellen, dass ein*e Leser*in der Neuen Berliner Zeitung im September 1924 dem Namen Klaus Mann zunächst mit Ratlosigkeit begegnet ist. Zu diesem Zeitpunkt war Thomas Mann bereits einer der bekanntesten Autoren Deutschlands, und Heinrich Mann galt unter den Liberalen Berlins als einer der populärsten Schriftsteller. Die Neue Berliner Zeitung veröffentlichte mehrere „Gossip Posts“ über Heinrich, unter anderem am 12. Mai 1924 über die Annahme einer Einladung zu einem Abendessen mit dem Präsidenten der Tschechoslowakei in Prag.
Doch wer war Klaus Mann? Ein vergessener Bruder von Thomas und Heinrich? Eine unglückliche Seele, die sich zufälligerweise den Nachnamen mit der von Frido Mann einst liebevoll so bezeichneten „Windsor-Familie Deutschlands“ teilt? Es war ein anderer Klaus, der den beginnenden Ruhm Klaus Manns in dessen 17. Lebensjahr unterstützte. Es handelt sich um Klaus Pringsheim, seinen Onkel – dieser ließ dem literarischen Schwergewicht Siegfried Jacobsohn zwei Skizzen seines Neffen zukommen. Als Chefredakteur der renommierten Zeitschrift Die Weltbühne veröffentlichte Jacobsohn ohne zu zögern die beiden Essays Klaus Manns. Die Essays, einer über Georg Trakl in der 37. Ausgabe und der andere über Arthur Rimbaud in der 40. Ausgabe 1924, ließen einen jungen Autor erkennen, der auf der Suche nach seinem Stil und seiner Stimme war. Doch vor allem: Walter Stendal, der führende Theaterkritiker der Neuen Berliner Zeitung, wurde auf seine Arbeit in der Weltbühne aufmerksam.
Klaus Manns erste Rezension in der Neuen Berliner Zeitung über das Kabarett „Der Lustige Thoma-Abend“ im Steglitzer Schloßtheater (heute Schlosspark-Theater). Klaus signierte seine Rezensionen mit KM, Klaus Mann oder einfach M. – Quelle: Neue Berliner Zeitung : das 12-Uhr-Blatt, 24. September 1924. Staatsbibliothek zu Berlin, Ztg 788 a MR
Nur Tage später begann Klaus seine Karriere als dritter Theaterkritiker für die Neue Berliner Zeitung. Seine erste Kritik, veröffentlicht am 24. September 1924, war eine äußerst sarkastische Rezension des Kabaretts „Der Lustige Thoma-Abend“ im Steglitzer Schloßtheater (jetzt Schlosspark-Theater).
In den folgenden 20 Wochen schrieb Klaus knapp 30 Rezensionen für die Neue Berliner Zeitung. Als dritter Kritiker war er hauptsachlich in kleinen Theatern am Stadtrand, in Kabaretts und Musikhallen tätig. Trotzdem befasste er sich mit Werken großer Namen. In seiner Kritik zu „Romeo und Julia“ vom 3. März 1925 am Wallner-Theater merkte er an: „Wie rein war die Freude, als wir Grete Jakobsen in München einstmals als Wendta sahn. Oder in Shawschen Lustspielen. Dort war sie in ihrem Gebiet, reizend an ihrem Platz. Aber sie ist keine Julia.“ In seiner Zeit als Kritiker rezensierte er mehrere Stücke von Shakespeare, William Somerset Maugham, Oscar Wilde, Luigi Pirandello und vielen anderen.
Da er erst siebzehn Jahre alt war, hätte man angesichts seines zarten Alters einen zurückhaltenden und vorsichtigen Stil erwartet, er entpuppte sich jedoch bereits von Anfang an als gnadenloser Kritiker. Fast keine seiner Rezensionen scheute sich vor negativen Bemerkungen über die größten Schauspieler*innen und Regisseur*e*innen jener Zeit. Ich habe den Eindruck, dass seine zynischen Kommentare in seiner Zuständigkeit für ausschließlich kleine Theater begründet sind. In seiner Autobiographie erinnerte sich Klaus 17 Jahre später: „Einmal schrieb ich außerordentlich gemein über einen hochberühmten Schauspieler des klassischen Stils … Hätten die alle gewußt, wie ich gelacht habe! Der große Jux, er klappte!“
In den Kritiken benutzte Klaus Mann häufig den Begriff „provinziell“ als entwertende Beleidigung. Über eine Produktion von „Sturm und Drang“ von Maximilian Klinger am 8. November auf der Goethe-Bühne merkte Klaus Folgendes an: „Aber wie peinlich provinziell (…) was man uns gestern bot.“ Über „Narziß“ mit Ferdinand von Bonn schrieb er einen Monat später: „Das Ensemble um ihn herum ist wieder schwach und oft provinziell; die Dekorationen sind oft zum Lachen und Weinen“. Nur wenige Monate vor diesen Veröffentlichungen war Klaus noch Schüler an der Odenwaldschule des kleinen Ortes Oberhambach gewesen. Im Vergleich zwischen dort und Berlin konnte Klaus die tiefgreifende Kluft zwischen Land und Stadt spüren. In Berlin erwartete er eine kultivierte und kosmopolitische Theaterszene. In einer Rezension verglich er die Aufführung eines Theaterstücks mit der an einem Gymnasium.
Seine Rezensionen waren jedoch nicht durchgehend negativ. Er hatte eine Schwäche für die Schauspielerin Adele Sandrock, über die er mehrmals schrieb. In einer Rezension über „Mrs. Dot“ am Lessing-Theater im März 1925 merkte Klaus Folgendes an: „Das Beste, wenn nicht das einzig Gute dieses Abends war, daß Frau Adele Sandrock eine englische Mama spielte und so prächtig war, so über die Maßen stattlich, so wahrhaft majestätisch, daß unser Herz vor Freuden so recht im Leibe hüpfte und tanzte.“ In seltenen Momenten wie diesem bekommen wir einen Einblick in Klaus Manns Vorlieben, die unser Verständnis für sein späteres Werk prägen.
Mitte März 1925 schrieb Klaus seine letzte Rezension für die Neue Berliner Zeitung. Er hatte bereits mit seiner eigenen Tätigkeit in der Theaterwelt begonnen, und nur fünf Monate später hatte sein erstes Theaterstück „Anja und Esther“ in Hamburg Premiere.
Ironischerweise wurde Klaus Manns erstes Stück, obwohl dieses durchaus auch auf einige positive Reaktionen stieß, von vielen der großen Theaterkritiker eindeutig negativ bewertet.
Obwohl Klaus Manns Zeit als Theaterkritiker nur sechs Monate andauerte, war es für ihn eine sehr wichtige und produktive Periode. Durch seine Arbeit als Kritiker traf er Gustaf Gründgens, dessen Beziehung zu Klaus in der Literatur bereits umfassend beschrieben wurde. Die Rezensionen ließen einen jungen Autor erkennen, der versuchte, große Ideen und Fragen zu entwickeln und zu verstehen. Liest man seine Kritiken, so kann man die Wurzeln eines großen Künstlers des 20. Jahrhunderts in großer Deutlichkeit erkennen.
Herr Aviv Hilbig-Bokaer, Wien, war im Rahmen des Stipendienprogramms der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2020 als Stipendiat an der Staatsbibliothek zu Berlin. Forschungsprojekt: „The 18 Year-Old Critic; Klaus Mann’s Theatre Reviews“
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