Rechtskultur und Informationsinfrastruktur
Maßgeschneiderte Serviceangebote für die rechtswissenschaftliche Forschung vor den Herausforderungen von Internationalisierung und Interdisziplinarität
In einem mehrjährigen Prozess hat der Wissenschaftsrat die rechtswissenschaftlichen Forschungsstrukturen in Deutschland einer grundlegenden Evaluation unterzogen und als Resultat ein Bündel von Empfehlungen verabschiedet, die an drei strategischen Leitbildern orientiert sind:
- Aufwertung der juristischen Grundlagenfächer
- Förderung der Interdisziplinarität rechtwissenschaftlicher Forschung
- umfassende Internationalisierung des Fachs
Wie angesichts der Autorität des einflussreichen wissenschaftspolitischen Beratungsgremiums kaum anders zu erwarten, hat sein Angang 2012 veröffentlichtes Positionspapier die disziplinäre Selbstreflexion über den methodischen Ort der Rechtswissenschaften befeuert und dabei vor allem jenen Stimmen zusätzliches Gewicht verliehen, die in transnationalen institutionellen Arrangements sowie in nicht alleine juristisch zu begreifenden normativen Ordnungssystemen zentrale Forschungsfelder identifizieren.
Als forschungsstrategisches Leitkonzept hat sich in diesem Zusammenhang auch in Deutschland der seit den späten 1960er Jahren vor allem von Lawrence M. Friedman geprägte und für ein Vielzahl von Fächern anschlussfähige Analyserahmen der Rechtskultur akademisch etablieren können. Hierfür stehen besonders prominent die Einrichtung von großformatigen drittmittelfinanzierten Verbundforschungsprojekten sowie die nicht zuletzt dadurch rasant anwachsende Zahl entsprechender Zeitschriften und Schriftenreihen – darunter etwa:
Rechtskultur: Zeitschrift für europäische Rechtsgeschichte
Studien zu Recht und Rechtskultur Chinas
Studien zur europäischen Rechtskultur
Schriftenreihe des Käte-Hamburger-Kollegs „Recht als Kultur“
Unter inhaltlichem Aspekt ist die Rechtskultur-Forschung insbesondere an Phänomenen von Multinormativität interessiert – und das nicht nur mit Bezug auf das dynamische Zusammenspiel von festgeschriebenen und informellen Spielregeln einer Gesellschaft, sondern zugleich auch unter dem Aspekt der sich beschleunigenden Transnationalisierung bzw. Überlagerung von Rechtsordnungen. Gerade aber die vor diesem Hintergrund ermöglichte Öffnung des Fachs für Methodenimpulse der Area Studies erklärt denn auch die Gründung des interdisziplinären Forschungsverbunds Recht im Kontext bzw. des Postdoc-Kollegs Rechtskulturen: Konfrontationen jenseits des Vergleichs am Berliner Forum Transregionale Studien, dessen Mitgliederversammlung im Übrigen unser Ober-Chef, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vorsitzt.
Analog dazu ist auch das Forschungsprogramm des an der an der Goethe-Universität Frankfurt am Main angesiedelten Exzellenzclusters Die Herausbildung normativer Ordnungen – des zweiten hier zu erwähnenden Projektverbunds – auf die rasanten gesellschaftlichen Veränderungsdynamiken der Globalisierung fokussiert, deren Wucht nicht zuletzt in der normativen Dimension sich beständig transformierender transnationaler Institutionsgefüge zu Tage tritt.
Demgegenüber geht es dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung an der Universität Bonn eingerichteten Käte Hamburger Kolleg Recht als Kultur vor allem darum, Recht in seiner Kulturbedeutung (Max Weber) stärker in den Blick geisteswissenschaftlicher Forschung zu rücken und letztlich einen „judicial turn“ der Geisteswissenschaften anzustoßen.
Gerade auch in Reaktion auf die hier nur angedeuteten wissenschaftsimmanenten Prozesse hat die Staatsbibliothek zu Berlin das Konzept für einen Fachinformationsdienst für internationale und interdisziplinäre Rechtsforschung entwickelt, der mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum 1. Januar 2014 an die Stelle des Sondersammelgebiets Recht trat. Das größtenteils bereits realisierte Arbeitsprogramm beinhaltet neben der nachfrageorientierten Schärfung des Erwerbungsprofils im Bereich der rechtswissenschaftlichen Forschungsliteratur vor allem den Aufbau spezieller Fernleih- und Digitalisierungsservices, die Einrichtung einer Suchmaschine für juristische Fachinformationen sowie nicht zuletzt die Freischaltung des ersten disziplinären Open-Access-Repositoriums für die rechtswissenschaftliche Forschung im deutschsprachigen Raum.
Förderpolitischer Hintergrund dieser Initiative bildete die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeleitete Transformation der etablierten Strukturen nationaler Literaturversorgung. So unterhielt die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit 1949 in Kooperation mit zahlreichen wissenschaftlichen Bibliotheken aus dem gesamten Bundesgebiet ein dezentrales System von disziplin-, regional- und materialspezifischen Sondersammelgebieten. Ziel dieser koordinierten Erwerbungskooperation war es, unabhängig von der tatsächlichen Nutzung ein möglichst umfassendes Reservoir an internationaler wissenschaftlicher Spezialliteratur aufzubauen und überregional verfügbar zu machen. In den Nachkriegsjahren mit der Absicht errichtet, dem Mangel an fremdsprachigen Forschungspublikationen in Deutschland mit dem Instrument der Fernleihe zu begegnen, machte der Strukturwandel sowohl des wissenschaftlichen Publikationsmarkts als auch der Forschungsprozesse im digitalen Zeitalter eine grundlegende Revision des Sondersammelgebietssystems erforderlich. Befördert durch die Impulse des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland sowie als Ergebnis einer mehrstufigen Evaluation hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft zum 1. Januar 2014 ihre auf den Aufbau umfassender Sammlungen zielenden Erwerbungsrichtlinien zugunsten einer dezidierten Ausrichtung des bibliothekarischen Dienstleistungsangebots auf die konkrete Nachfrage und den aktuellen Informationsbedarf der jeweiligen wissenschaftlichen Fachcommunity aufgegeben. Einher geht dieser Prozess nicht nur mit der Umbenennung der Sondersammelgebiete in Fachinformationsdienste für die Wissenschaft, sondern auch mit der Integration des bislang auf dauerhafte Strukturbildung ausgerichteten Finanzierungsmodells in die regulären projektbasierten Förderverfahren der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Spätestens die im Herbst des kommenden Jahres anstehende Entscheidung über den von der Staatsbibliothek zu Berlin einzureichenden Folgeantrag wird demnach also unter Beweis stellen müssen, ob es uns gelungen ist, dem aktuellen Fachinformationsbedarf der rechtswissenschaftlichen Forschungscommunity in Deutschland gerecht zu werden. Drücken Sie uns bitte die Daumen oder – noch besser – helfen Sie uns durch Ihr Feedback, unsere Fachinformationsangebote nahtlos an Ihre Anforderungen und Wünsche anzupassen. Schönen Dank!
Über den Ausgang des Verfahrens informieren wir Sie in jedem Fall natürlich hier.
Und wenn es etwas ausführlicher sein soll:
Ivo Vogel/Christian Mathieu: Rechtswissenschaftliche Fachinformationsversorgung im Wandel – Zur Transformation des Sondersammelgebiets Recht in einen Fachinformationsdienst für internationale und interdisziplinäre Rechtsforschung, in: Recht, Bibliothek, Dokumentation: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Juristisches Bibliotheks- und Dokumentationswesen 44 (2014), S. 1-14
http://intr2dok.vifa-recht.de/receive/mir_mods_00000006
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