Romeo und Julia unter Tage – die „Bergwerke zu Falun“

Die Geschichte ist nicht neu und schnell erzählt: Der junge Seemann Elis kommt von einer Fahrt nach Ostindien wieder in der Heimat an und erfährt, dass seine Mutter gestorben ist, während er auf See war. Anstatt mit seinen Freunden zu feiern, bleibt er traurig und gedankenverloren allein – bis sich ein alter Bergmann zu ihm setzt und ihm rät, die Seefahrt aufzugeben und Bergarbeiter zu werden. Elis folgt diesem Vorschlag, geht nach Falun und sieht sich die Bergwerke an. Zunächst ist er völlig schockiert, doch dann lernt er die schöne Ulla kennen und lieben. Am Tag ihrer Hochzeit fährt er in die Grube ein, um den Almandin zu finden, einen Edelstein, der das Glück des Brautpaares festigen soll. Wenig später erhält Ulla die schreckliche Nachricht, dass das Bergwerk eingestürzt ist und ihren Bräutigam begraben hat. Fortan kehrt sie jedes Jahr am Tag des Unglücks zum Bergwerk zurück und erfährt 50 Jahre später, dass ein Leichnam aus der Grube geborgen wurde, der in Vitriolwasser gelegen hatte und deshalb um keinen Tag gealtert zu sein scheint. Ulla, inzwischen eine alte Frau, erkennt ihren Elis. Sie umarmt den toten, jung gebliebenen Bräutigam – und stirbt, während der Körper von Elis zu Staub zerfällt. In der Kirche, in der sie einst heiraten wollten, finden die Liebenden ihre letzte Ruhestätte.

Titelblatt Falun

Titelblatt. Foto von C. Koesser, SBB PK.

Soweit – in groben Zügen – die Geschichte von Elis und Ulla, wie sie E. T. A. Hoffmann 1819 in seinem Zyklus „Die Serapionsbrüder“ erzählt hat.

Inspiriert von dieser traurigen Liebesgeschichte entstand 2016 zu dem Werk Hoffmanns „Die Bergwerke zu Falun“ ein Handeinband, den der Berliner Buchbinder und Buchgestalter Christian Klünder schuf. Klünder, Jahrgang 1952, lebt und arbeitet in Berlin-Moabit. Sein Einband für eine 1997 im Verlag Serapion vom See erschienene Ausgabe mit Radierungen von Michael Knobel greift die Erzählung auf und setzt sie auf sehr hohem handwerklichem und künstlerischem Niveau um: Passend zum Ort der Handlung in Hoffmanns Erzählung wählte Klünder als Bezugsstoff für seinen Einband handgefärbtes Rentierpergament. Bei der Ausführung seines Entwurfs mit Metall- und Farbfolienprägung bezieht Klünder sowohl Vorder- und Hinterdeckel als auch den Buchrücken mit ein. Dunkle, senkrechte Balken stehen bedrohlich auf dem roten Pergament und symbolisieren die Schächte, in die die Bergleute zu ihrer gefährlichen Arbeit in die Gruben einfuhren. Die Stollen dagegen, in denen das Erz und andere Bodenschätze gefunden wurden, wirken als waagerechte silberne Streifen freundlich und hell, stehen für den Triumph im Berg und die Glücksmomente des schwer errungenen Erfolgs. Tief unten in der Grube soll der sagenhafte Almandin zu finden sein, der Elis zum Verhängnis wurde. Klünder platziert den Edelstein auf dem Hinterdeckel, fast am Grunde des Schachtes. Als Kontrapunkt dazu finden sich auf dem Vorderdeckel die beiden Ringe des Brautpaares, jedoch deuten die Kreuze bereits den tragischen Ausgang der Erzählung an. Der Graphitkopfschnitt, das Lederkapital und das für den Vorsatz verwendete schwarze Mi-Teintes Papier runden die edle Optik ab. Die zur sicheren Aufbewahrung des Einbands angefertigte Ganzgewebekassette zeigt auf dem Vorderdeckel eine eingelassene Radierung. Der Handeinband wird seinen Standort in der Einbandsammlung der Abteilung Historische Drucke finden.

Vorderdeckel Falun

Vorderdeckel. Foto von C. Koesser, SBB PK.

Detail Vorderdeckel

Detail Vorderdeckel. Foto von C. Koesser, SBB PK.

 

Hinterdeckel Falun

Hinterdeckel. Foto von C. Koesser, SBB PK.

Detail Hinterdeckel

Detail Hinterdeckel. Foto von C. Koesser, SBB PK.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Bergwerk in Falun wurde übrigens noch bis weit in das 20. Jahrhundert betrieben. Heute ist es ein Museum und seit dem Jahr 2001 ein Teil des Weltkulturerbes Falun-Kopparbergslagen.

[Text von Andreas Wittenberg.]

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