Sonderdrucke in Zeiten von PDF. Eine akademische Tradition wird reanimiert
Das Pulsieren von Herzblut war deutlich zu spüren, als am vergangenen Donnerstag im Rahmen eines von der Staatsbibliothek zu Berlin veranstalteten Podiumsgesprächs eine akademische Tradition wiederbelebt wurde, die mit dem Aufschwung des elektronischen Publizierens einen Gutteil ihres ursprünglichen Charakters einbüßen sollte. Denn unter den Bedingungen der unbegrenzten Reproduzierbarkeit elektronischer Dokumente muss jener exklusive „Für-Dich-Effekt“ zwangsläufig an Bedeutung verlieren, der aus der nur begrenzten Verfügbarkeit ansprechend gestalteter, mit einer handschriftlichen Widmung versehener und womöglich sogar persönlich überreichter papierener Sonderdrucke resultiert – eine Limitierung, die zumal in universitären Bewerbungsverfahren zuweilen freilich für herkulische Entscheidungsschwierigkeiten sorgen kann.
Angesichts der Unwirksamkeit von PDF-Dateien als Zeichen von kollegialer Verbundenheit und Zuneigung sowie in der Absicht, einen Publikationsort für herausragende studentische Arbeiten und eher unkonventionelle wissenschaftliche Texte zu schaffen, haben sich Anke te Heesen, Christina Wessely, Valentin Groebner und Michael Wildt der Rettung dieser gefährdeten oder zumindest aus der Mode gekommenen Tradition des akademischen Gabentauschs verschrieben und mit Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung die programmatisch betitelte Reihe „Sonderdruck“ ins Leben gerufen. Den vier überdies für die Programmauswahl zuständigen Lehrenden steht der Leipziger Typograf Helmut Völter zur Seite, der sowohl das Format der Gesamtreihe als auch das Erscheinungsbild der ersten drei Einzelbände – diese handeln von Heiner Müllers Manuskriptkritzeleien, der deutschen Modefotografie in den 1930er Jahren sowie dem Mittelalterbild des Campus Galli – gestalterisch verantwortet. Um aber den individuellen, auf persönliche Kontaktaufnahme zielenden Charakter des Vorhabens noch stärker zu betonen, wird der buchkünstlerische Staffelstab von nun an im Jahresturnus von Hand zu Hand weitergegeben werden.
Allerdings bezeichnet der stete Wandel in der Gestaltung der künftig zu produzierenden Bände keineswegs die einzige Konstante dieser Reihe, werden doch die in einer Auflage von jeweils 400 Stück hergestellten Sonderdrucke niemals im Buchhandel zu kaufen, sondern ausschließlich als Geschenk zu erhalten sein. Demgemäß betonte auch der bekannte Feuilletonist und Literaturwissenschaftler Lothar Müller in seinem Festvortrag die verschiedenen Währungen, in denen die nicht von Geldströmen getragene Ökonomie des akademischen Gabentauschs ausgemünzt wird: Aufmerksamkeit, symbolisches Kapital und vor allem Lesezeit. Zugleich dokumentiert die Einladung gerade dieses Redners – Lothar Müller ist schließlich Autor einer viel beachteten Geschichte des Papiers – die besondere Sensibilität für die materiale Dimension von Sonderdrucken, was wiederum die Aufnahme des Podiumsgesprächs in die Folge der Begleitveranstaltungen zur gemeinsam von der Staatsbibliothek zu Berlin in Verbindung mit den Berliner und Potsdamer Universitäten organisierten Vortragsreihe Die Materialität der Schriftlichkeit – Bibliothek und Forschung im Dialog erklärt. Nach historischen Dissertationen und mittelalterlichen Rechtshandschriften werden in diesem Zusammenhang – diese kurze Werbeunterbrechung sei hier bitte gestattet! – im Übrigen bereits in Kürze künstlerische Einblattdrucke im Fokus stehen.
Wie am Eröffnungsabend der 66. Berlinale auch kaum anders vorstellbar, wurde diese Veranstaltung zum wissenschaftlichen Publizieren auf Papier im 21. Jahrhundert natürlich für den YouTube-Kanal der Staatsbibliothek zu Berlin aufgezeichnet. Dru(e)cken Sie uns daher bitte fest die Daumen, dass die Berlinale-Jury unseren Film auch ja mit einem der begehrten Sonderpreise auszeichnen wird!
Ihr Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!