Was passiert, wenn Nutzer:innen Kulturdaten selbst in die Hand nehmen?

Im Oktober 2025 richtete das Stabi Lab gemeinsam mit dem Centre for Digital Scholarship (CDS) der Universität Oxford den Hackathon culture.explore(data) aus. Zwei Tage lang arbeiteten rund dreißig Teilnehmer:innen mit Datensätzen aus den Sammlungen der Staatsbibliothek, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und den Bibliotheken und Museen der Universität Oxford. Die Veranstaltung diente als Experimentierraum, in dem Interessierte selbst erkunden konnten, wie sich digitale Kulturdaten nutzen, kombinieren und interpretieren lassen.

Der Hackathon bot auch ein konkretes Beispiel für das BKM-Projekt „Die Staatsbibliothek als Mitmach-Raum. Explorative Erforschung und Konzeptualisierung neuer Partizipationsangebote und Raumnutzungsszenarien am Beispiel des Stabi Lab“, in dem das Stabi Lab als Fallstudie für neue Formen der Beteiligung, der Vermittlung von Kulturdaten und der Weiterentwicklung hybrider Laborformate untersucht wird. Das Projekt arbeitet mit einem Analysemodell, das vier Kernmodule (Community Builder, Research Accelerator, Creative Innovation Hub sowie Tech & Tools Depot) unterscheidet und fragt, wie Bibliothekslabore diese Rollen in ihrer Praxis tatsächlich ausfüllen.

Hackathons haben im Stabi Lab bereits eine gewisse Tradition: 2019 und 2020 fanden beispielsweise die Veranstaltungen Coding Gender und Coding Precarity statt. Diese kreativ-spielerischen Veranstaltungen verfolgen das Ziel, neue Formen des Zugangs zu kulturellem Erbe und seiner Vermittlung zu erproben. Über einen kurzen Zeitraum kommen Menschen aus Forschung, Kultur und Technik zusammen, um mit den Daten von Kultureinrichtungen beispielsweise Prototypen für Apps, Webseiten, Visualisierungen oder Datenanalysen zu entwickeln.

Hackathons eignen sich gut dafür, Datensätze auf neue Weise erfahrbar zu machen und auszutesten, wie unterschiedliche Gruppen damit arbeiten. Im Rahmen von culture.explore(data) wurde erneut deutlich, wie relevant diese Formate für die Weiterentwicklung digitaler Angebote und Sammlungen sind. Gerade für das BKM-Projekt war das ein interessantes Beispiel für das Modul „Community Builder“, da hier deutlich sichtbar wurde, wie sich Gemeinschaft rund um Kulturdaten bildet und welche Anforderungen, Bedürfnisse und Dynamiken dabei entstehen.

Zusammenarbeit über Disziplingrenzen hinweg

Die Teilnehmenden kamen aus sehr unterschiedlichen Feldern: Geistes- und Sozialwissenschaften, Daten- und Informationswissenschaften, Design, Coding und weitere Bereiche waren vertreten. Für viele von ihnen war es der erste Kontakt mit Datensätzen aus Bibliotheken und Museen, und für die meisten auch der erste Kontakt mit dem Stabi Lab.

Gerade dieser Umstand machte die Offenheit des Formats spürbar: der Hackathon bot einen Rahmen, in dem unterschiedliche Hintergründe nebeneinander Platz fanden. Die Atmosphäre war geprägt von Neugier und der Bereitschaft, sich auf unbekannte Methoden einzulassen. Eine Rückmeldung brachte dies klar zum Ausdruck:

First time I worked with data related to the cultural field, nice to see new approaches and ways data can enhance our cultural understanding.

(„Ich habe zum ersten Mal mit Daten aus dem Kulturbereich gearbeitet und finde es schön, neue Ansätze und Möglichkeiten zu sehen, wie Daten unser kulturelles Verständnis verbessern können.“)

Die Gruppen bildeten sich selbst, orientiert an gemeinsamen Interessen an bestimmten Datensätzen. Dadurch entstanden sehr verschiedene Arbeitsweisen: so widmeten sich einige Teams der Erstellung visueller oder interaktiver Prototypen, während sich andere auf Datenanalyse konzentrierten.

Die entstandenen Projekte zeigten damit, wie unterschiedlich man sich Kulturdaten nähern kann. So kombinierte eine Gruppe historische Menükarten mit zeitgenössischen Schellack-Aufnahmen und entwickelte einen Prototyp, der Besucher:innen einen akustisch-kulinarischen Eindruck des Berliner Nachtlebens der 1910er Jahre vermittelt. Eine andere Gruppe untersuchte Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten in den geografischen Daten des Ethnologischen Museums in Berlin und entwickelte ein kleines Quiz namens „GuineaPick“, um dem Publikum die Schwierigkeiten bei dem Mapping historischer geografischer Daten näherzubringen. Im Rahmen des Hackathons wurde das Projekt von den Teilnehmenden mit dem Audience Award ausgezeichnet. Solche Beispiele zeigen, wie heterogen der Umgang mit Kulturdaten sein kann, sobald unterschiedliche Hintergründe und Herangehensweisen zusammenkommen.

Für das BKM-Projekt war gerade diese Heterogenität besonders wichtig und relevant. Sie zeigt, dass Community Building im Laborkontext durch eine gemeinsame Exploration entsteht – unabhängig vom Hintergrund der Teilnehmenden innerhalb der Gruppe. Menschen mit unterschiedlichen Profilen finden über ein gemeinsames Interesse an Daten, Materialien oder Fragestellungen zueinander. Dies entspricht genau der Logik des Moduls „Community Builder“, in dem die gemeinsame Sinnbildung im Vordergrund steht.

Rahmen und Unterstützung

Der Hackathon zeigte zugleich, wie entscheidend die Gestaltung des Rahmens für das Gelingen offener Formate ist. Die Teilnehmenden konnten frei wählen, wie sie arbeiten und welche Daten sie nutzen wollten. Gleichzeitig bot das Organisationsteam gelegentlich Orientierungshilfen und Unterstützung bei praktischen Fragen. In den Rückmeldungen wurde deutlich, wie wichtig diese Mischung aus Offenheit und Struktur war.

I liked the experimental nature and working in an interdisciplinary team. The organization of the hackathon, such as the process of forming groups, the structural guidelines for the two days, but still the opportunity for free and creative work, were great. The time pressure helped us not to get lost in our own topics, but to work in a focused manner within the group.

(„Mir gefiel der experimentelle Charakter und die Arbeit in einem interdisziplinären Team. Die Organisation des Hackathons, wie beispielsweise die Gruppenbildung, die strukturellen Vorgaben für die beiden Tage, aber dennoch die Möglichkeit zur freien und kreativen Arbeit, waren großartig. Der Zeitdruck half uns, uns nicht in unseren eigenen Themen zu verlieren, sondern innerhalb der Gruppe konzentriert zu arbeiten.“)

Dieser Aspekt lieferte uns eine wichtige Einsicht: offene Formate benötigen Struktur, damit sie für heterogene und teilweise weniger erfahrene Gruppen zugänglich sind. Der Hackathon hat außerdem gezeigt, dass Community Building aktiv begleitet und unterstützt werden muss.

Was der Hackathon für die Stabi sichtbar machte

Auf inhaltlicher Ebene lieferte die Veranstaltung wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung der Datenangebote unseres Labs. Einige Teilnehmer:innen stießen auf fehlende oder unvollständige Dokumentationen, während andere sich weitere technische Hinweise zum Beispiel zu API-Nutzung oder Datenformaten wünschten. Diese Beobachtungen sind für die Staatsbibliothek und das Lab von großer Bedeutung, da sie aufzeigen, welche Hürden beim Arbeiten mit Kulturdaten auftreten und welche Arten von Unterstützung in Zukunft sinnvoll wären. Gleichzeitig wurde deutlich, welches Potenzial in den Sammlungen steckt, wenn unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen. Einige Projekte (Newspaper Explorer und Academic Titles in Der Tag) nutzten Materialien, die noch nicht erforscht wurden, und erzeugten dadurch neue Sichtweisen auf die Bestände.

Für das Stabi Lab bot der Hackathon zudem die Gelegenheit, die eigene Rolle als Schnittstelle zwischen Forschung und Öffentlichkeit zu schärfen. Die Veranstaltung machte deutlich, dass ein Labor im Bibliothekskontext auch ein Ort der Praxis und der Interaktion ist. Hier entstehen Gespräche über Methoden, über historische Zusammenhänge oder über den Umgang mit digitalem Erbe. Die Sammlungen werden dabei aktiv weitergedacht.

Foto: Stabi Berlin

Der Hackathon hat gezeigt, wie wichtig Gelegenheiten für gemeinsames Ausprobieren sind und wie stark sich der Blick auf Sammlungen verändert, wenn sie nicht nur bereitgestellt, sondern gemeinsam erforscht werden. Gleichzeitig hat er dem Stabi Lab wertvolle Impulse gegeben. Diese reichen von technischen Verbesserungen bis hin zur Ansprache neuer Zielgruppen.

In diesem Sinne war culture.explore(data) ein Beispiel dafür, wie Bibliotheken neue Formen der Beteiligung und der Zusammenarbeit ermöglichen können. Durch diese partizipative Veranstaltung wurde das kulturelle Erbe aktiv genutzt und gestaltet. Diese Aufgabe ist Teil des Selbstverständnisses des Stabi Labs: Räume zu schaffen, in denen Nutzer:innen experimentieren, Fragen stellen und eigene Perspektiven entwickeln können. Der Event war somit ein zentraler Baustein und praktisches Beispiel im BKM-Projekt dafür, wie Kulturdaten zum Ausgangspunkt einer offenen, partizipativen und kreativen Arbeit werden.

 

Das Projekt „Die Staatsbibliothek als Mitmach-Raum: Explorative Erforschung und Konzeptualisierung neuer Partizipationsangebote und Raumnutzungsszenarien am Beispiel des Stabi Lab“ wird durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert.

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