Ein besonders schwieriges Erbe – spartenübergreifende Initiativen zur Erschließung, Digitalisierung und Erforschung des Nachlasses von Leni Riefenstahl
Der multimediale Nachlass der 2003 verstorbenen Tänzerin, Schauspielerin, Fotografin und Filmemacherin Leni Riefenstahl birgt enormes Forschungspotential für zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen, zugleich aber beträchtliche Herausforderungen für Sammlungseinrichtungen – sowohl im Hinblick auf Umfang und materiale Vielfalt seiner Inhalte als auch und vor allem in ethischer, rechtlicher und weltanschaulicher Dimension. Wie nicht zuletzt der im Rahmen der 81. Internationalen Filmfestspiele von Venedig uraufgeführte Dokumentarfilm Riefenstahl von Andres Veiel deutlich macht, ist Leni Riefenstahls Nachlass zudem planvoll im Dienst ihres eigenen Nachruhms angelegt, was besondere methodische Sensibilität bei seiner Erschließung erfordert.
Um die Verantwortung für diesen ebenso schwierigen wie auch gesellschaftlich relevanten Bestand auf mehrere Schultern zu verteilen, wurde im Zuge der 2018 vollzogenen Schenkung des vollständigen Nachlasses der hochumstrittenen Künstlerin an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein materialbezogen koordiniertes Vorgehen vereinbart: Während alle schriftlichen Dokumente aus Leni Riefenstahls Erbe der Staatsbibliothek zu Berlin anvertraut sind, werden die fotografischen und ethnografischen Bestände dezentral bei den Staatlichen Museen zu Berlin aufbewahrt – in der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek im Museum für Fotografie bzw. im Ethnologischen Museum –, die Zeugnisse ihres Filmschaffens dagegen in der Stiftung Deutsche Kinemathek. Begleitet wird das Vorhaben von einem international besetzten wissenschaftlichen Beirat, dem neben Forschenden auch Personen des öffentlichen Lebens wie z.B. Mitglieder des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma oder der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum angehören.
Angesichts der ungewöhnlichen Komplexität der urheber-, leistungsschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Situation dieses Nachlasses ist für seine Erschließung und (teilweise) Digitalisierung ein mehrstufiges Verfahren geplant. Erheblich erschwert – um nur ein Beispiel dafür zu nennen – wird die Bewertung des juristischen Status der Inhalte dieser Sammlung durch die von Leni Riefenstahl nachweislich seit den 1950er Jahren gepflegte Praxis, sich das Urheberrecht anderer Personen insbesondere an Standfotografien ihrer Filme anzumaßen. Weitere juristische Unsicherheiten resultieren etwa aus der unklaren, von mehreren Seiten beanspruchten Rechtsnachfolge der von ihr teils mit Staats- bzw. NSDAP-Beteiligung gegründeten Produktionsunternehmen wie Leni Riefenstahl Studio Film, Riefenstahl-Film GmbH oder Leni Riefenstahl-Produktion.
Auf dem steinigen Weg zur vollständigen (virtuellen) Zugänglichmachung ihres spartenübergreifenden Nachlasses konnten in einem ersten Schritt Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Erschließung und Digitalisierung des unter juristischem Aspekt am wenigsten problematischen schriftlichen Teilbestands in der Staatsbibliothek eingeworben werden. Aber selbst in dieser Hinsicht sind die rechtlichen Herausforderungen für eine digitale Bereitstellung der überwiegend personenbezogenen Inhalte noch prohibitiv genug. Alle im Rahmen dieses Vorhabens gewonnenen Erschließungsinformationen werden in Kalliope dokumentiert, dem nationalen Nachweisinstrument für Nachlässe, Autografen und Verlagsarchive.
Um ihre Handlungsmöglichkeiten auf dem in Rede stehenden Feld grundlegend zu erweitern, beteiligen sich Staatsbibliothek und Kunstbibliothek mit dem Riefenstahl-Nachlass auch an der ebenfalls von der Deutschen Forschungsgemeinschaft initiierten Pilotphase Digitalisierung und Bereitstellung (noch) rechtebewehrter Objekte. Konkret geht es bei diesem in Kooperation mit Univ.-Prof. Dr. Katharina de la Durantaye (Humboldt-Universität zu Berlin) und Univ.-Prof. Dr. Benjamin Raue (Universität Trier) konzipierten Pilotprojekt um die allgemeine rechtswissenschaftliche Vermessung der normativen Rahmenbedingungen, Risiken und Gestaltungsoptionen der Digitalisierung und forschungsbezogenen Zugänglichmachung zeithistorischer bzw. zeitgenössischer Sammlungen anhand repräsentativer Beispielfälle – in der Absicht, Kulturerbeeinrichtungen mithilfe von Praxisleitfäden einen rechtssicheren Handlungskorridor zu eröffnen.
Da aber keineswegs nur juristische Restriktionen der digitalen Verfügbarkeit von Leni Riefenstahls Nachlass entgegenstehen, sondern auch ethische Bedenken z.B. in Bezug auf Einsatz und Darstellung von NS-Gewaltopfern im Film Tiefland (1944/54) oder wegen ihres primitivisierend-rassifizierenden Blicks auf die indigenen Kulturen Afrikas, wurde zwischen Oktober 2021 und Dezember 2024 ein weiteres Forschungsvorhaben durchgeführt: Das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderte Projekt von Kunstbibliothek und Ethnologischem Museum Rassismus – Kolonialismus – Faschismus? Deutsch-Sudanesische kollaborative Erschließung und Präsentation des Nuba-Werks von Leni Riefenstahl zielt darauf, bei der Erforschung dieser Fotografien die Perspektiven, Wünsche und Bedürfnisse der abgebildeten Bevölkerungsgruppen einzubeziehen. Die Ergebnisse dieses Vorhabens werden in Kürze auf einer eigenen dreisprachigen Website veröffentlicht.
Nichtsdestotrotz können auch die bereits erschlossenen Objekte aus dem fotografischen Segment des Nachlasses von Leni Riefenstahl zumindest vorläufig nur in den Räumen des Museums für Fotografie eingesehen werden – aus ethischen, konservatorischen und rechtlichen Gründen. Mit Ausnahme der im Open Access bereitgestellten Inhalte gilt dies auch für die meisten schriftlichen Dokumente aus ihrem Besitz in der Staatsbibliothek. Alle Ethnografika aus Leni Riefenstahls Sammlung sind dagegen schon online dokumentiert. Die jeweiligen Kontaktdaten in den betroffenen Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie der Stiftung Deutsche Kinemathek finden sich hier.
Weiterführende Literatur:
Ludger Derenthal/Matthias Struch/Moritz Wullen: Riefenstahls Nachlass. Eine erste Grabung, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 14 (2020), S. 97–120, https://doi.org/10.17104/1863-8937-2020-4-97.
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