Brief von Heinrich Friedrich von Diez an Friedrich Nicolai, 20. Februar 1802. - Staatsbibliothek zu Berlin. Handschriftenabteilung; Nachl. Friedrich Nicolai; Signatur: Nachlass Friedrich Nicolai/I/14/Mappe 29/Diez, Heinrich Friedrich von, Blatt 418v. 

Als Diplomat und Autodidakt im Orient. Der Briefwechsel von Heinrich Friedrich von Diez im Kontext seines Nachlasses

Gastbeitrag von Prof. Arne Klawitter

Der Name Heinrich Friedrich von Diez (1751–1817) ist unter Literatur- und Kulturwissenschaftlern heute bestenfalls noch den Goethe-Forschern bekannt, denn der vielseitig interessierte Dichter zog, als er die Arbeit an seinem West-östlichen Divan begann, dessen Denkwürdigkeiten von Asien (2 Teile, 1811/15) zu Rate, die Diez im Anschluss an seine Tätigkeit als preußischer Gesandter in Konstantinopel verfasst hatte. In Goethes Tag- und Jahres-Heften von 1816 heißt es:

V[on] Diez Denkwürdigkeiten, dessen Streitigkeit mit Hammer, des letzteren orientalische Fundgruben, studirte ich mit Aufmerksamkeit und überall schöpfte ich frische östliche Luft.“

Bereits ein Jahr vorher hatte Goethe notiert, dass sich das Verhältnis zu Diez befestigt habe, und er fügt hinzu:

„[D]as Buch Cabus eröffnete mir den Schauplatz jener Sitten in einer höchst bedeutenden Zeit, der unsrigen gleich, wo ein Fürst gar wohl Ursache hatte seinen Sohn in einem weitläufigen Werke zu belehren, wie er allenfalls bey traurigstem Schicksale sich doch in einem Geschäft und Gewerbe durch die Welt bringen könne. […] Diez war die Gefälligkeit selbst, meine wunderlichen Fragen zu beantworten.“

In ihrer Untersuchung zu den Quellen und Vorlagen der Gedichte der Divan-Epoche hebt Katharina Mommsen u.a. das große Verdienst von Diez hervor: Zwar habe Goethe die meisten Anregungen zu seinen Divan-Gedichten von Joseph von Hammer empfangen, doch sei unmittelbar nach ihm Heinrich Friedrich von Diez zu nennen. Im Folgenden geht Mommsen auf die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Orientalisten Hammer und Diez ein, deren Ursache eine Streitschrift war, in der Diez Hammer anhand vieler Beispiele „grob[e] Unwissenheit“ nachzuweisen suchte. Goethe nahm, wie aus den Tag- und Jahresheften hervorgeht, regen Anteil an dieser Kontroverse. Seine dennoch deutliche Zurückhaltung in diesem Streitfall wertet Mommsen bereits als „eine entschiedene Stellungnahme für Diez“, der für die Autoritäten des Fachs lediglich ein dilettierender Außenseiter war, den es eher abzulehnen als zu akzeptieren galt. In den Noten und Abhandlungen, die Mommsen als ein Veto Goethes gegen diese Ignoranz und Überheblichkeit der Fachwelt begreift, wird das von Diez ins Deutsche übertragene Buch des Kabus (1811), dem Hammer jeden Wert und jegliches Interesse abgesprochen hatte, ganz dezidiert als ein „vortrefflich[es]“ und „unschätzbar[es]“ Werk gewürdigt. Weiter heißt es dort über Diez:

„[…] bedenklicher ist es zu bekennen daß auch seine, nicht gerade immer zu billigende, Streitsucht mir vielen Nutzen geschafft. Erinnert man sich aber seiner Universitäts-Jahre, wo man gewiß zum Fechtboden eilte, wenn ein paar Meister oder Senioren Kraft und Gewandtheit gegen einander versuchten, so wird niemand in Abrede seyn, daß man bey solcher Gelegenheit Stärken und Schwächen gewahr wurde, die einem Schüler vielleicht für immer verborgen geblieben wären.“

Aber nicht nur mit Goethe stand Diez im Briefwechsel. Schon während seiner Studienzeit in Halle lernte er den Dichter Ludwig August Unzer kennen und kam über ihn in Kontakt mit dem Philosophen und Staatswissenschaftler Jakob Mauvillon, die ihn beide auf seinem Weg als Freigeist entscheidend beeinflusst haben dürften, aber auch mit dem späteren preußischen Kriegsrat und Diplomaten Christian Konrad Wilhelm Dohm. Als Diez nach seinem Aufstieg zum Magdeburger Kanzleidirektor im Juni 1784 von Friedrich dem Großen als preußischer Chargé d’affaires nach Konstantinopel geschickt wurde, war Dohm sein Mittelsmann im preußischen Außenministerium, der ihn mit den wichtigsten politischen Informationen aus Berlin versorgte. Ihr umfangreicher Briefwechsel gibt einen interessanten Einblick sowohl in das diplomatische Leben in Konstantinopel als auch in die ganz eigenen Ansichten dieser schillernden Persönlichkeit.

Brustbild Heinrich Friedrich von Diez, unbekannter Berliner Künstler, 1791, Pastellkreide. - © Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Fotostelle.

Brustbild Heinrich Friedrich von Diez, unbekannter Berliner Künstler, 1791, Pastellkreide. –
© Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Fotostelle.

Neben seinen diplomatischen Verpflichtungen fand Diez immer noch genügend Zeit, als Liebhaber des Orients ein enormes Wissen über die osmanische Kultur und Geschichte zu sammeln und auf dieser Grundlage eine bemerkenswerte Anzahl von Manuskripten und seltenen Büchern zu erwerben. Zwar wurde der Autodidakt vom orientalistischen Establishment, vor allem aber vom bereits erwähnten Joseph von Hammer, angefeindet, andererseits fand er große Anerkennung unter Gelehrten, wie die umfangreiche Korrespondenz mit dem angesehenen Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen belegt. Bedeutsam für die Aufklärungsforschung ist wiederum der Schriftwechsel, der ihn mit dem Verleger und Buchhändler Friedrich Nicolai verbindet und Aufschluss gibt über Diez’ Tätigkeit als Rezensent für die Allgemeine deutsche Bibliothek.

Nachdem Diez aufgrund eigenmächtiger Verhandlungen mit nicht unerheblichen Folgen für die preußische Russlandpolitik im Januar 1790 aus Konstantinopel abberufen wurde, siedelte er sich zunächst auf einem Landgut in Phillipsthal bei Potsdam an, zog 1798 ins pommersche Kolberg, wo er eine Pfründe im Domstift erhielt und sich mit dem Titel des Prälaten bekleidete, musste jedoch mit der Ankunft der französischen Truppen sein Kirchenamt aufgeben und floh über die Ostsee nach Berlin. In den darauf folgenden Jahren war er schriftstellerisch sehr produktiv, veröffentlichte das Buch des Kabus (1811) sowie seine zweibändigen Denkwürdigkeiten von Asien (1811/15) und Wesentliche Betrachtungen oder Geschichte des Krieges zwischen den Osmanen und Russen in den Jahren 1768 bis 1774  von Resmi Achmed Effendi (1813). Er starb am 7. April 1817 und vermachte seine umfangreiche Büchersammlung dem preußischen Staat. Sie befindet sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin.

Das Forschungsprojekt mündet in die Herausgabe und Kommentierung des Briefwechsels dieses außergewöhnlichen Freidenkers und Orientkenners, wie ihn Christoph Rauch nannte, mit dem gemeinsam ich an der Buchedition arbeite, die in der Reihe „Werkprofile“ des Verlags De Gruyter erscheinen wird.


Weiterführende Literatur:

Katharina Mommsen: Goethe und Diez. Quellenuntersuchungen zu Gedichten der Divan-Epoche, Berlin 1961 (= Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst ; 1961, 4).

Heinrich Friedrich von Diez: Frühe Schriften (1772‑1784). Hrsg. von Manfred Voigts, Würzburg 2010.

Freigeisterei unter dem Schutzmantel der Anonymität. Ein Beitrag zur Biographie des preußischen Gesandten Heinrich Friedrich von Diez, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 2017, S. 7‑45.

Heinrich Friedrich von Diez: Philosophische Abhandlungen, Rezensionen und unveröffentlichte Briefe (1773‑1784). Hrsg. und kommentiert von Arne Klawitter, Würzburg 2018.

Heinrich Friedrich von Diez (1751‑1817). Freidenker – Diplomat – Orientkenner. Hrsg. von Christoph Rauch und Gideon Stiening, Berlin 2020.

 

Herr Prof. Dr. Arne Klawitter, Germanist an der Waseda Universität in Tokio, war im Rahmen des Stipendienprogramms der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2020 als Stipendiat an der Staatsbibliothek zu Berlin. Forschungsprojekt: „Der Briefwechsel des preußischen Diplomaten und Orientalisten Heinrich Friedrich von Diez im Kontext seines Nachlasses“

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