Andersdenkende, Aktivist:innen und Exil – Neuerwerbungen der Osteuropa-Abteilung

Das Erstarken von Diktatoren, der bereits über zwei Jahre andauernde russische Krieg gegen die Ukraine und die politische Verfolgung von Kritiker:innen und Aktivist:innen haben wachsende Exiltatbestände und alternative Publikationswege zur Folge. Ob über Exilverlage, abenteuerliche Vertriebswege oder aus dem Ausland betriebene Youtube-Kanäle – die Wahrheit über Gräueltaten, Unrecht, Unterdrückung, Strafverfolgung und auch politische Morde soll und muss Gehör finden. Entsprechende Literaturerwerbungen haben in der Staatsbibliothek bereits eine längere Tradition.

In der Vitrine vor dem Osteuropa-Lesesaal stellen wir folgende Neuerwerbungen vor:

Andrej Piontkovskij:
Tretij putʹ… k rabstvu.
Leipzig : ISIA Media Verlag, 2023. 617 Seiten.
ISBN 978-3-910741-96-6.
(Band 1: 1999-2014)

Signatur: 3 A 295473

Vojna.
Leipzig : ISIA Media Verlag, 2023. 532 Seiten.
ISBN 978-3-910741-97-3.
(Band 2: 2014-2023)

Signatur: 3 A 295474

Andrej Piontkovskij (geb. 1940) ist Mathematiker und seit den späten 1990er Jahren als politischer Journalist aktiv. Am 18.08.2023 wurde er in Russland offiziell zum „Inoagent“, d. h. zum Auslandsagenten, erklärt. Wegen drohender politischer Verfolgung hatte er bereits 2016 das Land verlassen. Er prägte den Begriff des Putinismus als „das höchste und letzte Stadium des Banditenkapitalismus in Russland“ (Artikel in der Zeitung Sovetskaja Rossija am 29.01.2000*).
Die hier gezeigten Bände sind in Leipzig beim ISIA Media Verlag erschienen und bündeln Piontkovskijs Putin-kritische Aufsätze seit 1999 in Band 1 „Der dritte Weg … zur Knechtschaft“ sowie seine Analysen zur Putin-Politik und zum Ukraine-Krieg bis zum Erscheinen des Buches in Band 2 „Krieg“.

Im Stabikat finden Sie weitere Werke von Andrej Piontkovskij.
Informationen über Andrej Piontkovskij in der russischen Wikipedia.
Der Begriff „Putinizm“ in der russischen Wikipedia:

„История термина
Первые упоминания путинизма имеют публицистический характер. В России этот термин впервые использовал Андрей Пионтковский в своей статье Путинизм как высшая и заключительная стадия бандитского капитализма в России, опубликованной 11 января 2000 года* в газете Советская Россия и — в тот же день — на сайте партии «Яблоко»[3][22][23].“

* nach unseren Recherchen wurde der Artikel in der Sovetskaja Rossija nicht am 11.01.2000 veröffentlicht, sondern erst am 29.01.2000.


Alina Nahornaja:
Mova 404. Belaruskaja mova ŭ Belarusi. Rėalʹnyja historyi.
Minsk : Umovy dlja movy, 2021. – 212 Seiten.
ISBN 978-5-00076-058-1.

Signatur: 3 A 294793

In dem Buch „Sprache 404. Die belarusische Sprache in Belarus. Wahrhafte Geschichten“ geht es darum, wie schwierig es ist, die belarusische Sprache im modernen Belarus zu verwenden, obwohl sie laut Verfassung Amtssprache ist. Das Buch besteht aus kurzen Berichten von Menschen, die in Belarus versuchen, Belarusisch zu sprechen, dabei aber allerlei Probleme haben. Das Buch ist nirgendwo frei käuflich; es wurde durch Crowdfunding produziert und kann auch auf dem Telegram-Kanal „Mova tut“ gelesen werden. Herausgeber ist die Bürgerinitiative Umovy dlja Movy (dt. Bedingungen für die Sprache), die sich für die Verwendung der belarusischen Sprache in Belarus engagiert. Die Autorin Alina Nahornaja ist Aktivistin gegen die Diskriminierung der belarusischen Sprache und ihrer Sprecher:innen sowie Mitbegründerin der Bürgerinitiative Umovy dlja Movy.

Werke der Autorin im Stabikat.


Ihar Slučak:
10 stahoddzjaŭ dzjaržaŭnasci i dyskryminacyi belaruskaj movy. Belaruskaja mova ŭ Belarusi. Realʹnyja fakty.
Smalensk : Inbelkulʹt, 2022. – 239 Seiten.
ISBN 978-5-00076-066-6.

Signatur: 3 A 294794


Das Buch „10 Jahrhunderte Staatlichkeit und Diskriminierung der belarusischen Sprache. Die belarusische Sprache in Belarus. Echte Fakten“ basiert auf einer langjährigen praktischen und wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema und einer umfangreichen Korrespondenz des Autors Ihar Slučak. In drei Kapiteln wird die Problematik Staatssprachenpolitik und Mehrsprachigkeit innerhalb eines Landes allgemein, an Beispielen außerhalb von Belarus und schließlich in Belarus selbst betrachtet und hier mit besonderem Augenmerk auf die Entwicklung seit 1996. Ihar Slučak (geb. 1984) hat gemeinsam mit Alina Nahornaja die Bürgerinitiative Umovy dlja Movy (dt. Bedingungen für die Sprache) gegründet.

Informationen über Ihar Slučak in der belarusischen Wikipedia.


Pravda li / Ilʹja Ber, Daniil Fedkevič, N.Č., Evgenij Buntman, Pavel Solachjan, S.T.
Mit einem Vorwort von Christo Grozev.

[USA] : Freedom letters, 2023. – 139 Seiten.
ISBN 978-1-4476-6775-9.

Signatur: 3 A 295171

Alle Kapitel dieses Buches beginnen mit „Pravda li, čto …“, zu Deutsch „Stimmt es, dass …“. Das russische Wort „Pravda“ steht gleichzeitig für „Wahrheit“ (und man könnte Pravda li, čto … auch mit Ist es wahr, dass … übersetzen). In Zeiten des Krieges stirbt die Wahrheit zuerst. Und so werden hier russische Pressemeldungen auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft von den sogenannten Faktencheckern der russischen Plattform „Provereno.media“. Publikationen wie diese nehmen die Politik Putins kritisch ins Visier, können aktuell aber nicht in Russland erscheinen. Der Verlag Freedom Letters wurde 2023 gegründet, um Texte, die in Russland verboten sind, herauszugeben. Das sind sowohl belletristische Werke als auch Bücher zu aktuellen Themen wie das hier vorliegende.


KGB igraet v šachmaty / Boris Gulʹko; Viktor Korčnoj; Jurij Felʹštinskij; Vladimir Popov.
Leipzig : ISIA Media Verlag, 2023. – 210 Seiten.
ISBN 978-3-910741-00-3.

Signatur: 3 A 294873

Die Autoren dieses Buches sind ein Historiker, zwei Schachmeister und ein ehemaliger KGB-Offizier. Sie alle sind emigriert. Der Historiker und die Schachmeister in den 1970er bis 1980er Jahren aus der Sowjetunion, der KGB-Offizier 1995 nach der Auflösung der Sowjetunion. In dem Buch wird erstmals nicht nur aus Sicht der betroffenen, durch den KGB „betreuten“ Schachspieler von der Einflussnahme durch den sowjetischen Geheimdienst berichtet, sondern die Arbeit des KGB an der „Schachfront“ aus dem Inneren der Organisation beschrieben. „Der KGB spielt Schach“ erscheint bereits in der 3. Auflage und wurde von dem Leipziger ISIA Media Verlag herausgegeben.


Michail Zygarʹ:
Vojna i nakazanie. Kak Rossija uničtožala Ukrainu.
Riga : Meduza, Zygaro, 2023. – 470 Seiten.
ISBN 978-9934-23-946-5.

Signatur: 3 A 296441

Michail Zygarʹ (geb. 1981) ist ein russischer Schriftsteller, Regisseur, politischer Journalist und war von 2010 bis 2015 Chefredakteur des Fernsehsenders „Doždʹ“ (TV Rain). Am 21.10.2022 wurde er zum Auslandsagenten (russ. Inoagent) erklärt. Michail Zygarʹ lebt inzwischen in Berlin. In seinem Buch „Krieg und Strafe. Wie Russland die Ukraine zerstörte“ analysiert der Autor, wie es zu dem Krieg Russlands gegen die Ukraine kommen konnte. Das Buch ist im Verlag Meduza in Riga/Lettland erschienen.

Weitere Werke des Autors im Stabikat.
Informationen über Michail Zygar‘ in der russischen Wikipedia.
YouTube-Kanal von Michail Zygar‘ – @Zygaro.


Katerina Gordeeva:
Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg.
Aus dem Russischen von Jennie Seitz.
München : Droemer, 2023. – 348 Seiten.
ISBN 978-3-426-27917-5.

Signatur: 10 A 175937

Katerina Gordeeva (geb. 1977) ist eine mehrfach ausgezeichnete russische Journalistin, TV-Reporterin und Kriegsberichterstatterin. Bereits 2014 verließ sie Russland aus Protest gegen die Annexion der Krim. Seit 02.09.2022 gilt sie offiziell als „Inoagent“. In dem vorliegenden Buch schreibt sie über den russischen Krieg gegen die Ukraine. In 24 Berichten werden die Kriegserlebnisse von Menschen, die sie in verschiedenen Flüchtlingszentren interviewt hat, dokumentiert. Die Texte schildern Kriegserleben, Flucht und Überleben sowohl von russischer als auch von ukrainischer Seite. Das Buch ist in deutscher Übersetzung erschienen. Das russische Original „Unesi ty moe gore“ wurde vom Meduza-Verlag veröffentlicht und steht auf Telegram bei Meduza kostenlos als PDF zur Verfügung.

Weitere Werke der Autorin im Stabikat.
Informationen über Katerina Gordeeva in der russischen Wikipedia.
YouTube-Kanal von Katerina Gordeeva – Skaži Gordeevoj


Sergej Lebedev:
Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit. Erzählungen.
Aus dem Russischen von Franziska Zwerg.
Frankfurt am Main : S. Fischer, 2023. – 299 Seiten.
ISBN 978-3-10-397522-2.

Signatur: 10 A 177042

Sergej Lebedev (geb. 1981) ist ein russischer Schriftsteller, Journalist und Autor mehrerer Romane. Bereits im März 2022 hat er sich öffentlich gegen den russischen Angriff positioniert und einen offenen Brief, der den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilte, unterschrieben. Er lebt zurzeit in Deutschland. In seinem Erzählband widmet er sich der sowjetischen Vergangenheit und den Auswirkungen der verdrängten Verbrechen jener Zeit bis in die Gegenwart. Die Erzählungen sind in deutscher Übersetzung erschienen. Das russische Original „Titan“ erschien 2023 im Verlag AST in Moskau.

Weitere Werke von Sergej Lebedev im Stabikat.
Informationen über Sergej Lebedev in der russischen Wikipedia.

Kontakt und Wissenswertes zum Thema

Weitere Informationen, auch zu unseren Neuerwerbungen, finden Sie auf diesen Seiten:

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