Die „Prosopographia Imperii Romani“ nach 100 Jahren abgeschlossen

Die 2. Auflage, der, wie sie vollständig heißt, Prosopographia Imperii Romani saeculorum primi, secundi, tertii (kurz PIR) – auf den Titelblättern steht freilich nur Prosopographia Imperii Romani saec. I. II. III. – ist hundert Jahre, nachdem sie von der Preußischen Akademie der Wissenschaften aus der Taufe gehoben wurde, zum Abschluss gebracht worden. Damit hat eines der uralten Langzeitvorhaben der deutschen Akademien ein glückliches Ende gefunden. Die „Prosopographie des Römischen Reiches für das erste, zweite und dritte Jahrhundert“ ist ein Personenlexikon der Führungsschicht des Römischen Reiches in acht Bänden. Damit liegt das wichtigste Hilfsmittel für die personengeschicht-liche (prosopographische) Erforschung der römischen Kaiserzeit jetzt vollständig vor. Erfasst werden alle Personen des Römischen Reichs aus der Zeit zwischen 30 v.d.Z. bis ca. 300 – also von Augustus bis Diokletian – von einiger Bedeutung, die in handschriftlichen oder inschriftlichen Quellen sowie auf Münzen belegt sind. Insgesamt sind das rund 15.000 Köpfe. Dazu zählen auch Personen, die mit Rom in Kontakt standen wie der Germane Arminius, der den Römern ihr Desaster in der Nähe des Teutoburger Waldes bescherte. Bei der Zitierung der Quellen ist in aller Regel Vollständigkeit angestrebt. Für den Laien dürfte gewöhnungsbedürftig sein, dass die Artikel komplett in lateinischer Sprache abgefasst sind. Geordnet werden die Römerinnen und Römer nach ihrem Familiennamen, dem nomen gentile. Augustus muss deshalb unter Iulius gesucht werden, Marcus Aurelius unter Annius und Caracalla unter Septimius. In Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft gilt übrigens dasselbe Ordnungsprinzip.

Als die im ausgehenden 19. Jahrhundert weltweit auf dem Gebiet der Altertumswissenschaften führende Preußische Akademie der Wissenschaften die großen Inschrifteneditionen Corpus Inscriptionum Graecarum bzw. Latinarum zu einem gewissen Abschluss gebracht hatte, setzte sich maßgeblich Theodor Mommsen dafür ein, das umfangreiche personenkundliche Material der römischen Kaiserzeit zusammenzutragen und zu publizieren. 1883 gestartet erschienen 1897 bis 1898 in rascher Folge die drei Bände der ersten Auflage der PIR. Sie waren eine gute Basis für die 1893 mit dem ersten Band gestartete Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, das – soweit dies möglich ist – allumfassende Nachschlagewerk über die Antike mit einer beeindruckenden Anzahl von Personenartikeln. Die prospographische Methode hatte sich aus der Arbeit an den Inschriftencorpora entwickelt. Die Inschriften enthalten ja zu einem großen Teil biographische Angaben. Das Wort selbst ist eine gelehrte Wortschöpfung aus den griechischen Wörtern prosōpon „Antlitz, Person“ und graphein „(be)schreiben“. Das lateinische persona geht übrigens höchstwahrscheinlich über das Etruskische auf das griechische prosōpon zurück.

Durch zahlreiche neue, v.a. inschriftliche Quellenfunde war die 1. Auflage der PIR so schnell veraltet, dass die Berliner Akademie bereits 1915 eine Neubearbeitung beschlossen hat. Nach ausführlichen Vorarbeiten erschienen 1932 der erste Band, der nächste 1936 und noch mitten im Krieg 1943 der dritte. Anders als in den beiden ersten Bänden wurden auf dem Titelblatt keine Herausgeber genannt. Die beiden Hauptbearbeiter und bisherigen Editoren, Edmund Groag (1873-1945) und Arthur Stein (1871-1950), waren den Rassengesetzen des Dritten Reiches zum Opfer gefallen. Immerhin fand ihre Arbeit in dem auf Latein verfassten Vorwort Erwähnung. Durch glückliche Fügung konnten beide den Krieg überleben. Die PIR wurden nach gewissen Anlaufschwierigkeiten von der Nachfolgeeinrichtung der Preußischen Akademie der Wissenschaften betreut, die nun Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (ab 1972 Akademie der Wissenschaften der DDR) hieß. Akademiepräsident ab 1945 war der renommierte klassische Philologe Johannes Stroux (1886-1954). 1952 konnte ein erster Teil des vierten Bandes erscheinen. Bis 1987 wurden fünf Bände erarbeitet, erreicht war der Buchstabe O.

Über die Wendezeit rettete das Werk die Neugründung der Berlin-Brandenburgischen Akademie hinweg. Freilich wurde dabei mit dem Jahr 2006 ein Zeitrahmen bis zum Abschluss der Edition gesetzt. Die Editionskräfte kamen bis zum Buchstaben S und sahen auf sieben vollendete Bände. Erstmals in seiner langen und wechselvollen Geschichte lief das Projekt ernsthaft Gefahr, als Torso zu enden. Erstmals stand es ohne die institutionelle Unterstützung durch eine der Akademien dar. Dankenswerterweise sprang die Fritz Thyssen Stiftung ein, und 2015 konnte dann die zweite Auflage der PIR genau einhundert Jahre nach ihrem Entstehen zum Abschluss gebracht werden. Der achte Band liegt jetzt komplett vor. Er ist wie alle anderen, auch die zwischen 1952 und 1987 gedruckten, beim renommierten Berliner Wissenschaftsverlag De Gruyter erschienen.

Das Entstehen der PIR ist ein gutes Stück deutscher Wissenschaftsgeschichte. Dieses ist aber nicht vollständig ohne einen Blick auf das Anschlussprojekt, die Prosopographia Imperii Romani saeculorum quarti, quinti, sexti, also der Personenbeschreibung der vierten, fünften und sechsten Jahrhunderts. Auch dieses Projekt der Preußischen Akademie der Wissenschaften wurde vom damals bereits greisen Theodor Mommsen (1817-1903) im Jahr 1901 initiiert. Die umfangreiche Materialsammlung – erschienen war noch kein einziger Band – wurde im Zweiten Weltkrieges wegen der Bombenangriffe aus Berlin ausgelagert. Nach dem Krieg konnte sie dann nur noch rudimentär geborgen werden, und die Arbeiten an diesem Projekt wurden innerhalb der Berliner Akademie eingestellt. Nun sprangen Wissenschaftler der Britischen Akademie der Wissenschaften in die Bresche, übernahmen leihweise die Fragmente und ergänzten die Sammlung. So konnte 1971-1992 The Prosopography of the later Roman Empire in drei Bänden mit dem Zeitrahmen 260-641 erscheinen. Die Berliner Akademie widmete sich aber neben der PIR noch einer anderen prosopographischen Herkulesaufgabe. Nachdem die Vorarbeiten bis zur deutschen Vereinigung 1990 sehr schleppend verlaufenen waren, erschien 1998 der erste Band der Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit. Bereits 2013 konnte der siebzehnte und letzte Band vorgelegt werden. Bearbeitet waren rund 20.000 Personenartikel aus der Zeit zwischen 641 und 1025. Als Verleger stellte sich wiederum De Gruyter zur Verfügung.

Auch für den geographischen Raum des ehemaligen Weströmischen Reiches gibt es verschiedene prosopographische Werke, allerdings ist die Vollständigkeit des byzantinischen Raumes noch lange nicht erreicht. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass die Prosopographien zum Grundbestand des Lesesaals Unter den Linden gehören. Sie finden dort die genannten Werke unter den nachfolgend genannten Signaturen:

Prosopographia Imperii Romani : HA 7 De 4150

The Prosopography of the later Roman Empire : HA 7 De 4155

Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit : HA 7 Df 2900

Die dahinterstehende Aufstellungssystematik des Lesesaals finden Sie hier:

Lesesaalaufstellungssystematik Geschichte

 

 

 

 

 

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