Kreuz und Que(e)r: Die Reihe zum Pride Month
Anlässlich des Pride Month, möchten wir Sie mit unserer Reihe Kreuz und Que(e)r auf eine besondere Reise durch die Sammlungen mitnehmen. Im Laufe des Monats stellen wir Ihnen in diesem Beitrag und auf unseren Social Media Kanälen exemplarisch einige queere Personen vor, die mit ihren Werken literarisch in vielerlei Hinsicht die Augen öffnen wollen. Was bedeutet es, sich selbst zu finden? Wie kann ein Leben jenseits der heteronormativen Gesellschaft aussehen? Wie findet Queerness ihre Stimme in der gegenwärtigen, aber auch historischen Literatur? Und wer sind eigentlich die Autor:innen hinter den Werken?
Kommen Sie mit – einmal Kreuz und Que(e)r durch unsere Bestände.
Kreuz und Que(e)r I: Alice Oseman
Charlie: „Das hättest du nicht tun müssen. Ich bin es gewöhnt, dass manche Leute Dinge über mich sagen.“
Nick: „Das solltest du aber nicht sein. Die Leute sollten rein gar nichts über dich sagen. Du solltest dir so was gar nicht gefallen lassen.“
Charlie und Nick sind spätestens seit dem Netflix-Debüt der Serie Heartstopper fast allen bekannt. Ursprünglich stammen die beiden Teenager und ihre Freund:innen aus der Feder der Autorin Alice Oseman: Ihre gleichnamigen Webcomics und Graphic Novels befassen sich mit der nicht immer ganz geradlinigen Suche nach der eigenen Identität und ergründen, was Freundschaft und Liebe bedeuten können. Zufällig im Schulunterricht nebeneinander gesetzt, treffen bei Charlie und Nick zwei Welten aufeinander. Während Charlie eher der schüchterne Nerd ist, der wegen seiner Homosexualität verspottet wird, gehört Nick zu den populären Jungs – und ist auf gar keinen Fall schwul. Als die beiden sich näher kommen, miteinander anfreunden, sind da aber plötzlich doch mehr Gefühle, als ursprünglich erwartet. Eine spannende Reise beginnt, in der die beiden sich nicht nur näher kommen, sondern jeder auch sich selbst besser kennenlernt.
Wie ist es aber, wenn man mit Sexualität und romantischer Liebe nichts anfangen kann? Wenn man von Liebesgeschichten und Romantik umgeben ist, es sich bei einem selbst aber nie so anfühlt, wie in schnulzigen Romanen und kitschigen Romcoms? Das Gefühl kennt Georgia aus Osemans Roman Loveless ziemlich gut – und hat damit eine Gemeinsamkeit mit ihrer Autorin: Sie ist asexuell. Damit gehört Oseman – ähnlich wie ihre Protagonistin – zu einem eher wenig repräsentierten Teil des queeren Spektrums.
Georgia: „I didn’t even know what was wrong. Everything. Myself. I didn’t know. How come everyone else could function and I couldn’t? How could everyone live properly yet I had some sort of error in my programming?“
Georgia liebt Romantik, oder besser gesagt, die Idee von Romantik: Ob in Büchern oder auf dem Fernsehbildschirm. Nur bei sich selbst, da klappt das mit der Romantik nicht so wirklich. Der Gedanke, mit einer anderen Person intim zu werden, irritiert sie. Aber Intimität und Sex gehören doch zum Mensch-sein dazu, oder? Nach der Highschool ist sie sich sicher: Auf dem College, da ist sie dann auch endlich an der Reihe. Wie passend, dass ihre neue Mitbewohnerin Rooney genau das Gegenteil von Georgia ist: Sie liebt Sex und hat jede Menge Spaß dabei. So, wie es scheinbar sein sollte. Also versucht Georgia es auch nochmal mit dem Küssen und allem, was dazu gehört – und fühlt sich dabei ziemlich unwohl. „Mit mir stimmt doch was nicht“, ist sie der festen Überzeugung. Bis sie auf Sunil trifft und das erste Mal von dem Begriff Asexualität hört.
Alice Oseman ist eine britische Autorin und Illustratorin. Ihr Debütroman Solitaire erschien 2014 und handelt von der Teenagerin Tori Spring, der Schwester des Heartstopper-Protagonisten Charlie. Auf Englisch verwendet Oseman die Pronomen her/they. Sie definiert sich als asexuell und aromantisch. Mit dem Erscheinen ihres Romans Loveless begann sie auch damit, ihre sexuelle Orientierung mehr in der Öffentlichkeit zu kommunizieren und setzt sich für mehr Akzeptanz und Aufklärung im Bezug auf Asexualität ein.
Alice Oseman’s Werke finden Sie bei uns ganz einfach über den StabiKat.
Kreuz und Que(e)r II: Mikita Franko
Wenn Besuch kommt verschwinden die Familienfotos und das kleine Regenbogenfähnchen. Auf dem Spielplatz dürfen sie nie zu dritt gehen und als wäre das nicht schon genug, kann sich Miki dann nicht einmal in ein Mädchen verlieben. Miki, das ist die Kurzform des russischen Namens Mikita, den der Protagonist des Debüt-Romans mit seinem Autor teilt: Mikita Franko setzt sich in „Die Lüge“ mit der Queerfeindlichkeit in der russischen Gesellschaft auseinander.
Miki: „Ich habe zwei Väter. Sie sagen, andere Leute denken, das wäre schlecht, aber das glaube ich nicht.“
In Kasachstan geboren, lebt Mikita Franko aktuell in Moskau und verarbeitet in seinem Roman, was es bedeutet in einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der Homosexualität zwar nicht per Gesetz strafbar, aber durchaus geächtet ist. Den teilweise autobiografischen Roman versteht Franko, der sich selbst als nicht-binär bezeichnet, als seine Art der Rebellion. Bei einer Lesung in der Stadtbibliothek Bremen sagt Franko über sein Buch: „Ich verarbeite bestimmte Dinge aus meiner Kindheit und versuche die Gesellschaft irgendwie zu verstehen.“ Politische Propaganda prägen Schule und Sozialleben, in dem Frankos Protagonist und dessen homosexuelle Väter keinen Platz finden. Geheimniskrämereien und Versteckspielen gehören für sie zum Alltag. Was es für einen heranwachsenden Menschen bedeutet, sich in einer Gesellschaft einzufinden, in der jedes Wort, jeder Eindruck nach außen existenzbedrohend sein kann – davon handelt „Die Lüge“.
Neugierig geworden? Unsere Osteuropa-Abteilung bietet eine Auswahl aus Mikita Frankos Werk – auf Russisch und Deutsch.
Kreuz und Que(e)r III: Audre Lorde
Unterschiede als Antrieb für Veränderung sehen, sie nicht ignorieren, weiterwachsen (wollen). Wer sich mit Feminismus über den eurozentristischen Rahmen hinaus beschäftigt und mit dem Begriff Intersektionalität etwas anfangen kann, dem* oder der* ist die Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde vermutlich bekannt. Wer verstehen möchte, wieso wir heutzutage mit Gendersternchen und Doppelpunkten kämpfen, die Übersetzung von Texten und Sprachen eine Identitätsfrage ist oder wir die Besetzung von Jurys und Bewertungsgremien reflektiert betrachten sollten – der* oder die* wird Anregungen in den Texten von Audre Lorde finden.
Audre Lorde: „Die Geschichte weißer Frauen, die nicht in der Lage sind, uns Schwarze Frauen zu hören oder in einen Dialog mit uns zu treten, ist lang und entmutigend.“ (1979, aus: Sister Outsider, erschienen 1984)
Audre Lorde wurde 1934 im New Yorker Stadtteil Harlem geboren. Ihr Studium der Bibliothekswissenschaften beendete sie an der Columbia University mit dem Master. Sie war eine US-amerikanische Schriftstellerin und setzte sich in ihren Werken und darüber hinaus für einen intersektionalen Feminismus sowie für die Rechte homosexueller Menschen und gegen Rassismus ein. Sie selbst definierte sich als lesbisch. Von 1984 bis 1992 war Lorde regelmäßig in Berlin zu Gast. Ihre Berliner Jahre bezeichnete sie selbst als eine der wichtigsten Erfahrungen in ihrem Leben. In den 80er-Jahren lehrte die US-Amerikanerin als Gastprofessorin in West-Berlin und hatte eine nicht unerhebliche Stimme in der politischen und kulturellen Szene im Deutschland ihrer Zeit. Insbesondere ihr Einfluss auf die Schwarze Community war bedeutsam.
Lust, sich inspirieren zu lassen? Sie finden eine breite Auswahl von Audre Lordes Lyrik, verschiedene Briefwechsel und Essays in unseren Stabi-Sammlungen.
Kreuz und Que(e)r Exkurs: Korean Queer Movies
Insgesamt 54 Filme mit queerem Inhalt präsentiert Korean Queer Movies, das als Projekt des Seoul International Film Festivals 2019 erschienen ist. Der Gastbeitrag von Ida Strohe, Bibliothekarin im Koreareferat unserer Ostasienabteilung, gibt Einblicke in das Werk.
Kreuz und Que(e)r IV: Benjamin Britten
Sieben Liederzyklen, fünf Lobgesänge, elf Opernrollen und sieben Werke für Orchester und Stimme schrieb der Komponist Benjamin Britten für den Tenor Peter Pears. Dass die beiden Musiker eine Beziehung führten, war zu Lebzeiten nur engsten Freund:innen bekannt, trotzdem zeichnete das Zusammenleben der Männer das Werk des britischen Komponisten nachhaltig. Pears und Britten, zu ihrer Zeit insbesondere als Liedduo bekannt, sorgten nicht nur in Großbritannien für ausverkaufte Häuser.
„Britten fand eine lebenslange Inspiration durch die Begegnung mit einem Sänger von solcher Sensibilität und musikalischen Intelligenz.“ (Colin Matthews, nach: Kesting, 2010, S. 2025f.)
Benjamin Britten und Peter Pears gingen gemeinsam eine künstlerische Symbiose ein: Während Britten in seinen Werken häufig den Tenor für Pears Stimmfarbe anpasste, sah dieser sich selbst als musikalisches Werkzeug seines Partners. Britten, der für seine Sprachsensibilität bis heute besonders geschätzt wird, war auch offensichtlicher Literaturenthusiast: Seine Bibliothek umfasste mehrere tausend Bücher. In seinem Werk finden sich Vertonungen der Poesie Michelangelos, aber auch literarischer Texte Arthur Rimbauds oder Wilfred Owens. Beide Autoren waren selbst homosexuell und verhandelten in ihren Werken Erfahrungen ebenso wie Assoziationen der homosexuellen Kultur. Im Gegensatz zu anderen Opern des 19. und 20. Jahrhunderts zeigen Brittens Stücke eine Überrepräsentation männlicher Rollen, während weiblichen Figuren weniger (Spiel-)Raum gegeben wird. Zu seinen bedeutendsten musikalischen Werken zählten u.a. das War Requiem (1961/62) sowie die Opern A Midsummer Nights Dream (1960) und Peter Grimes (1945).
Sie wollen mehr über Britten und sein Lebenswerk erfahren? Eine Auswahl seiner Werke sowie Briefwechsel finden Sie im Bestand unserer Musikabteilung.
Kreuz und Que(e)r Exkurs: Kreuz und Que(e)r Exkurs: Mistresses and Mates – queere Literatur aus Australien und Neuseeland
Unser Blog zum Pride Month bleibt global: Vor einigen Tagen ging es nach Korea, heute wenden wir uns in Richtung Down Under, nach Australien und Neuseeland – einer Weltgegend, die außer dem traditionsreichen Sydney Mardi Gras, dem ikonischen Silberlamé-Stöckelschuh aus Priscilla, Queen of the Desert und einer Handvoll trashiger Beiträge zum Eurovision Song Contest auch eine beeindruckende queere Literaturtradition vorzuweisen hat.
Kreuz und Que(e)r Exkurs: Queere Comics Nordamerika
Asterix und Obelix, die Marvel-Superhelden, Garfield oder die Peanuts – Comics feiern seit vielen Jahren einen phänomenalen Erfolg und sind in den Bücherregalen von Groß und Klein kaum mehr wegzudenken. Wie sieht es aber mit queeren Comics aus? Zum Abschluss der Beitragsreihe „Kreuz und Que(e)r“ zeigen wir einige besonders spannende Graphic Novels aus den USA und Kanada, die Sie in den Beständen der Stabi finden können. Dazu zählen u.a. Alison Bechdels „Fun Home“ (2006) oder auch der Sammelband „No Straight Lines“ (2013) von Justin Hall.
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