Michael Ende – Zeitgeist und Phantasie
Werkstattgespräch am 16. Juni 2016
Viele seiner Figuren sind weltberühmt. „Jim Knopf“, für den Michael Ende 1961, also vor genau 55 Jahren, den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt, dürfte inzwischen bereits in dritter Generation gelesen werden. Das Wissen über das Leben des Autors dagegen, der 1995 einem Krebsleiden erlag, verblasst zusehends. Insbesondere der Verquickung seiner Vita und seines Werks wurde bislang kaum je intensive Aufmerksamkeit geschenkt.
Dabei ist die Quellenlage ausgezeichnet, und es leben auch noch Zeitzeugen, so betonte Prof. em. Birgit Dankert, die Referentin des Abends. Sie beschäftigt sich als Literaturwissenschaftlerin und Spezialistin für Kinder- und Jugendliteratur seit über 30 Jahren mit dem Autor und seinem Werk und kannte ihn auch persönlich. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wissenswerkstatt“ gewährte sie nun einen Einblick in ihre jüngst erschienene Michael-Ende-Biographie.
Mariko Satō-Ende, die zweite Ehefrau des überaus erfolgreichen Autors, hatte ihr für alle notwendigen Recherchen „Carte Blanche“ erteilt, so dass Birgit Dankert aus einer Fülle von Material schöpfen konnte. Sie sprach mit den Zeitzeugen, wie z.B. dem Verleger Hans-Joachim Gelberg, der Illustratorin Binette Schröder oder Johannes Lenz, dem Priester der Christengemeinschaft, der bereits den surrealistischen Maler Edgar Ende, Michael Endes Vater, und später auch den Autor selbst seelsorgerisch betreute und beerdigte. Frau Dankert nahm intensiven Einblick in den Nachlass Michael Endes, der im Wesentlichen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, in Teilen aber auch in der Deutschen Jugendbibliothek in München verwaltet wird. Sie vertiefte sich in einem Maße in Endes Manuskripte, dass sie seine Texte letztlich bereits typographisch an der „Macke“ seiner Olivetti-Schreibmaschine erkennen konnte.
Der Autor gehörte zur Generation derjenigen, die in der Weltwirtschaftskrise geboren wurden und alle Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts bis hin zu deutschen Wiedervereinigung miterlebten. Doch obgleich man insofern vielleicht einen romantypischen Spannungsbogen erwarten möchte, gab es immer wieder Brüche, begann Michael Ende in mancherlei Hinsicht wieder von vorn. Man könne, so resümierte Prof. Dankert, sein Leben nicht mit dem Narrativ eines Entwicklungsromans erzählen. Ähnlich vielfältig aber ebenso zerrissen wie der Autor selbst sei auch sein Werk. Es ergebe kein kohärentes Gesamtbild, für das die Marke „Michael Ende“ stehen könne. Er schrieb Theaterstücke und Libretti, Kinder- und Jugendbücher ebenso wie Prosa für ein erwachsenes Publikum, auch Lyrik und Sachtexte mit kunst- und kulturtheoretischen Überlegungen gehörten zu seinem Repertoire.
Wahrgenommen wurde er jedoch (fast) ausschließlich als Kinder- und Jugendbuchautor. Und selbst in dieser Sparte musste Ende sich gegen Anfeindungen durchsetzen, da seinem phantastischen Ansatz Eskapismus vorgeworfen wurde. In Japan dagegen, so Dankert, der Heimat von Mariko Satō-Ende, konnte Ende mit seinen Werken an die seit jeher hohe Achtung der Japaner insbesondere gegenüber der deutschen Kinderliteratur der Romantik anknüpfen.
Bezogen auf sein kinder- und jugendliterarisches Werk bereitete Michael Ende der modernen phantastischen Literatur den Boden. Darüber hinaus kann er als früher Vertreter des Phänomens der All-Age-Literatur gesehen werden. In ihrer Biographie zitiert die Referentin den Autor:
Ich schreibe überhaupt nicht für Kinder. So wenig wie Marc Chagall für Kinder malt, obwohl seine Malerei oft ‘kindlich‘ aussieht. Ich schreibe für ‘das Kind in uns allen‘, das schöpferisch ist und fähig Schicksal zu erleben – wofür sonst lohnte es sich zu schreiben? Und worüber sonst?
(Der Niemandsgarten, S. 45. In: Birgit Dankert: Michael Ende : Gefangen in Phantásien. Darmstadt, 2016. – S. 35)
Ihr Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!