Was „Unmuth“ und „lange Weile“ hervorbringen…

Vor gut 300 Jahren, im Jahr 1722, stellte Johann Sebastian Bach die 48 Präludien und Fugen zu seinem „Wohltemperierten Klavier“ zusammen. Das Autograph und zahlreiche vollständige und unvollständige Abschriften gehören seit langem zum Bestand der Musikabteilung, darunter auch eine frühe Abschrift, die um 1733 begonnen wurde und in der Anna Magdalena Bach 32 Präludien und Fugen abgeschrieben hat, Link zum Digitalisat.

Zum Jahresende 2022 konnte noch eine weitere wichtige frühe und fast vollständige Abschrift der Stücke angekauft werden, die – wenigstens unter den Klavierspieler:innen – seit 300 Jahren zu den bekanntesten Werken Bachs überhaupt gehören. Die neu erworbene Handschrift stammt aus dem Besitz von Paul Badura-Skoda, einem Wiener Pianisten, der im September 2019 verstorben ist. Nun kam sie in unsere öffentlich zugängliche Sammlung und steht der Forschung auch digitalisiert zur Verfügung: Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin.

Bach hat sein Werk während seiner Amtszeit als Köthener Hofkapellmeister „Zum Nutzen und Gebrauch der Lehr-begierigen Musicalischen Jugend“ komponiert und zusammengestellt, so der Titel der autographen Niederschrift, die schon seit 1874 in der Bibliothek verwahrt wird:

Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Klaviers aus dem Jahr 1722, Signatur: Mus.ms. Bach P

Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Klaviers aus dem Jahr 1722, Signatur: Mus.ms. Bach P

Der Legende nach, so schreibt Ernst Ludwig Gerber, soll der Komponist die Musik „an einem Orte geschrieben (haben), wo ihm Unmuth, lange Weile und Mangel an jeder Art von musikalischen Instrumenten diesen Zeitvertreib abnöthigte“. (Link zum Lexikon). Es könnte sich dabei um die Landrichterstube in Weimar gehandelt haben, in der Bach im Herbst 1717 wegen „Halsstarrigkeit“ im Dienst arretiert wurde. Fertiggestellt wurde die Sammlung dann allerdings erst ein paar Jahre später.

Berühmt ist Hans von Bülows Einschätzung der Sammlung: „Das wohltemperirte Clavier ist das alte Testament, die Beethoven’schen Sonaten das neue, an beide müssen wir glauben.“ Bei den Stücken handelt es sich um je 24 Präludien und Fugen in allen 24 Dur- und Moll-Tonarten. Die Umsetzung eines solchen Vorhabens war nur aufgrund der damals neuen, modernen Stimmung für Tasteninstrumente möglich, die die physikalisch bedingten Unreinheiten der Tonarten so verteilte, dass auch Stücke mit vielen Vorzeichen „gut“ klangen.

Das Präludium in C-Dur ist eines der beliebtesten Stücke aus der Sammlung, hier abgebildet nach der neu erworbenen Handschrift:

Bach WK Präludium C-Dur

J. S. Bach, Wohltemperiertes Klavier, Präludium C-Dur

Bachs Wohltemperiertes Klavier gehört zu seinen bekanntesten Werken, es wird vielfach aufgeführt und eingespielt. Eine zufällige Auswahl von Einspielungen zeigt die unterschiedlichen Interpretationsansätze der Präludien und Fugen: von Keith Jarrett, 1988 – „unangestrengt und lebendig“ – bis András Schiff, 2012 – „Freude der Klarheit“ (Zitate jeweils aus den entsprechenden CD-Booklets). Eine Möglichkeit, ganz einfach in diese Musik hineinzuhören, bietet die Naxos Music Library, die die SBB allen registrierten Nutzerinnen und Nutzern kostenfrei anbietet:

Bei der neu erworbenen Handschrift ist bislang noch nicht bekannt, wer sie um 1760 geschrieben hat, sie stammt jedoch sicher aus dem engen Umkreis Bachs. Fragen wie die nach der Provenienz und auch der Verbreitung der Präludien und Fugen als Lehrwerk direkt nach Bachs Tod können nun wieder ein Stück mehr beantwortet werden. Das „Wohltemperierte Klavier“ war schon zu Lebzeiten des Komponisten relativ weit verbreitet, die Sammlung blieb auch nach 1750 in lebendiger musikalischer Erinnerung (im Gegensatz zu anderen Teilen des Gesamtwerks von Bach): unter anderem begegneten Beethoven und die Geschwister Mendelssohn den Stücken nachweislich in ihrem Klavier- und Musikunterricht.

Zur Zeit wird noch bis 28. Mai 2023 im Bachhaus Eisenach die Sonderausstellung „Das Alte Testament der Klavierspieler – 300 Jahre Bachs Wohltemperiertes Klavier“ gezeigt.

Bach-Haus Eisenach

Bach-Haus Eisenach

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weiterführende Links:
Autograph und Abschriften von Bachs Wohltemperiertem Klavier im Bestand der SBB
Bachhaus Eisenach – Museum der Neuen Bachgesellschaft e.V.

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