Köln hat den Dom – Troisdorf die Kathedrale!
Während Bibliotheken häufiger als „Kathedralen des Geistes“ und Museen als „Kathedralen der Kunst“ bezeichnet werden, geht es, bezogen auf die Einrichtungen der Kinder- und Jugendliteratur, eher bodenständig und bescheiden zu. Warum eigentlich? Es gibt in diesem Bereich auch sehr viele Einrichtungen und Institutionen, die durch ihre zentrale Bedeutung für die Kinder- und Jugendliteratur und durch ihre hohe, überregionale Strahlkraft der einen oder anderen sakralen Metapher durchaus gerecht werden dürften.
Das Bilderbuchmuseum Burg Wissem der Stadt Troisdorf, nur ca. 25 Kilometer von Köln entfernt, gehört zweifellos zu den Einrichtungen, die Besucher:innen zumindest zu Superlativen inspirieren. Seit seiner Gründung im Jahr 1982 in einem repräsentativen Herrenhaus untergebracht, widmet es sich als europaweit einziges Museum der systematischen Sammlung und Ausstellung von Bilderbüchern und Bilderbuchillustrationen. Das zentrale Sammelgebiet ist die Sammlung der Bilderbuchillustrationen selbst. Neben Einzelillustrationen berühmter Künstler:innen, wie Rotraut Susanne Berner oder Sabine Friedrichson, bietet das Museum auch vielen Sammlungen eine Heimat. Als ein Beispiel unter den vielen Schätzen sei die Janosch-Sammlung erwähnt, die sich als Dauerleihgabe des Künstlers im Museum befindet und den weltweit größten Bestand an Janosch-Originalillustrationen darstellt.
Neben der Sammlung von Bilderbuchillustrationen ist die Sammlung historischer Bilderbücher der zweite Schwerpunkt des Museums. Den Grundstock hierfür bilden einige komplette Sammlungen aus privatem Besitz wie die des Kölner Literaturwissenschaftlers Professor Theodor Brüggemann mit ca. 3000 Kinderbüchern von 1498 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts oder die Sammlung des Kinderbuchforschers Professor Friedrich C. Heller aus Wien mit raren oder sogar unikalen Exemplaren, vorwiegend aus dem Bereich der Bilderbuchkunst des Art déco, des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und des Futurismus.
Ergänzt werden die beiden historisch gewachsenen Sammelgebiete durch eine umfassende Sammlung aktueller Bilderbücher aus dem deutschsprachigen Raum, die in einer gemütlichen Präsenzbibliothek zum Lesen, Schmökern und Spielen einladen. Denn außer dem Sammeln von Bilderbuchillustrationen und Bilderbüchern und ihrer wissenschaftlichen Erforschung hat das Museum auch einem größeren Publikum sehr viel zu bieten. Die Präsentation und Vermittlung der Sammlungen erfolgt durch ein außerordentlich reichhaltiges, museumspädagogisch begleitetes Angebot. Dauerausstellung und temporäre Ausstellungen, Vorträge, Workshops und Führungen für Kinder und Familien machen das Bilderbuchmuseum zu einem lebendigen Ort des Austausches zwischen Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und kleinen und großen Gästen.
Neben seinem Einsatz für das Bilderbuch und die Bilderbuchkunst ist das Bilderbuchmuseum Troisdorf seit 2007 Organisator und Gastgeber des „Troisdorfer Kolloquiums“, eines informellen Zusammenschlusses internationaler Kinder- und Jugendbuchforscher:innen, Sammler:innen, Antiquar:innen und Bibliothekar:innen. Zum diesjährigen Treffen versammelten sich am 12. und 13. April 19 Expert:innen des Kinderbuchs, um unter der Leitung und Moderation von Carola Pohlmann, ehemalige Leiterin der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin und Dr. Pauline Liesen, Leiterin des Bilderbuchmuseums Troisdorf, ihre Forschungsergebnisse vorzustellen und aktuelle Themen und neue Entwicklungen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur zu diskutieren. Die breite Palette der behandelten Themen macht deutlich, wie viele Facetten Kinder- und Jugendliteratur hat, welche Vielfalt sie an Forschungsperspektiven bietet und welche Relevanz sie auch für Fragestellungen außerhalb des Kinder- und Jugendliteratur-Universums haben kann. Hier eine kleine, stark verkürzte, dennoch repräsentative Auswahl der vorgestellten und diskutierten Themen:
- Bildlinguistik in der Bilderbuchrezeption – welche Bedeutung haben Typographie und Layout, welche Rolle spielen Cover, Vorsatz und Titelblatt? (Prof. Dr. Dr. Hans-Heino Ewers, Frankfurt am Main)
- Österreichische Spezifitäten in der Geschichte des Kinderbuches – über außerhalb Österreichs weniger bekannte Autor:innen, insbesondere aus den Randgebieten der Donaumonarchie (Prof. Dr. Ernst Seibert, Wien)
- Einblicke in die Erforschung österreichischer historischer Kinder- und Jugendliteratur – hier u.a. ein Forschungsbericht zum Thema „Erzwungene Follower. Über die Taktiken von Kinder- und Jugendzeitschiften zwischen 1933-1945“ (Dr. Susanne Blumesberger, Wien)
- Neue Forschungsergebnisse zum künstlerischen Umfeld der vergessenen, in Auschwitz ermordeten Illustratorin Hilde Koch (Dr. Edel Sheridan-Quantz, Hannover)
- 100 Jahre „Häschenschule“ – Editions- und Illustrationsgeschichte des Erfolgsbuchs von Fritz Koch-Gotha (Bernhard Schmitz, Troisdorf)
- Rassismus in Kinderbüchern – Umgang mit historischen Kinderbüchern rassistischen Inhalts (Diskussionsrunde).
Zwei Tage, prall gefüllt mit Berichten, Wissens- und Erfahrungsaustausch, Diskussionen – und Inspiration. Denn bei allen Kolloquiumsteilnehmer:innen kam eines deutlich zum Ausdruck: es geht nicht nur um einen hochinteressanten Forschungsgegenstand, sondern um etwas, dem sich alle nicht nur mit Leib und Seele, sondern auch mit dem Herzen verschrieben haben. Die Leidenschaft für das Kinderbuch und der intensive Austausch der Expert:innen und Spezialist:innen aus so unterschiedlichen Sparten tragen nicht zuletzt auch dazu bei, dass das Genre Kinderbuch die Aufmerksamkeit und die Anerkennung bekommt, die es allein schon wegen seiner hohen künstlerischen Qualität verdient.
In diesem Sinne: ob das Troisdorfer Bilderbuchmuseum eine „Kathedrale“ oder ein „Tempel“ des Bilderbuchs und des Kinderbuchs ist oder einfach nur ein faszinierend lebendiger Ort des Austausches und der Inspiration für alle Freund:innen des Kinderbuchs, möge jede:r für sich selbst entscheiden. Eines ist auf jeden Fall sicher: wenn Troisdorf – dann Bilderbuchmuseum!
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