Digitale Lektüretipps 11: „Wie sich jetziger zeit die halten sollen, so noch gesundt, damit sie in solche Fieber nicht fallen mögen“ – Prävention in der Frühen Neuzeit

Ein Beitrag aus unserer Reihe Sie fehlen uns – wir emp-fehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps, heute aus der Abteilung Historische Drucke der SBB

Pandemien sind kein neuzeitliches Phänomen. Bereits im Spätmittelalter wütete die Pest und forderte zwischen 1347 und 1351 allein in Europa mindestens 25 Millionen Todesopfer. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen waren verheerend, da in den folgenden Jahrhunderten weitere kleinere und größere Pestwellen auftraten. Mit Aufkommen des Buchdrucks kam eine Vielzahl an Pestliteratur auf den Markt, in der präventive Maßnahmen und geeignete Therapien beschrieben wurden. Während im 17. Jahrhundert die Anzahl der Pestschriften zurückging bzw. die Ratgeber um zusätzliche Krankheiten wie „Hauptkranckheit/ Fleckfieber/ Masern/ Pocken/ Durchfälle“ erweitert wurden, erlebten die Ratgeber während des letzten Pestausbruchs in Nord- und Mitteleuropa 1708‑1714 ein kurzes Comeback. Manche ähnelten in Aufbau und alltagspraktischen Tipps denen des 16. Jahrhunderts, wie etwa die „Armen-Apotheke“. Andere waren, dem aufklärerischem Zeitgeist geschuldet, als kompakte Abhandlung der Pest im Allgemeinen und im Speziellen oder in naturwissenschaftlicher Ausführlichkeit, die in ihrer Form an heutige FAQs erinnern, aufgebaut.

Durch die großangelegte Digitalisierung der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 16. bis 18. Jahrhunderts (VD 16, VD 17 und VD 18) stehen Ihnen bereits rund 65.000 frühneuzeitliche deutsche Drucke aus dem Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin in den Digitalisierten Sammlungen zur Verfügung, darunter auch zahlreiche Pestratgeber.  Die umfangreichen Online-Angebote zu historischen Drucken – allein von den insgesamt über 300.000 in der VD 17-Datenbank erfassten Drucken sind ca. 50 Prozent in digitaler Form frei verfügbar – möchten wir Ihnen hier beispielhaft mit dem so ungeahnt aktuellen Segment der Pestratgeber vorstellen.

Der Schwarze Tod in Gestalt des Teufels klopft an die Tür. Titelholzschnitt eines kölnischen Pestratgebers von 1514 (VD16 V 2841)

 

Luftreinigung und Kontakteinschränkung

Die spätmittelalterliche Gesellschaft wurde von der Pest ebenso unvorbereitet getroffen wie unsere moderne Welt von dem Corona-Virus. Während die Theologen noch bis weit in das 18. Jahrhundert hinein die Pest als Strafe Gottes über die Sünden der Menschen auffassten, suchten Mediziner nach Übertragungswegen und Heilungsmöglichkeiten, um dem Schwarzen Tod zu entkommen. Basierend auf dem Konzept der Humoralpathologie, nach der Krankheit durch ein Missverhältnis der vier Körpersäfte Gelbe Galle, Schwarze Galle, Blut und Schleim verursacht wurde, erklärten sie den Übertragungsweg über die sogenannte Pesthauchtheorie:

Zweiffels ohne ists, daß in sehr grossen gemeinen sterbens leufften die Lufft inficirt seyn mus … Derowegen der ansteckung oder feulung von ersten mit höchstem fleis zu begegnen, durch Reuchwerck.

Auch in den Pestratgebern des 16. Jahrhunderts standen sowohl eingeatmete faulige Dünste, die die inneren Organe zu einer giftigen Masse zersetzten, als auch zur Fäulnis neigende Lebensmittel im Verdacht den Menschen von innen zu „verpesten“. Neben dem Räuchern mit verschiedenen Pflanzen und Harzen wurde daher das Lüften der Räume zur rechten Zeit empfohlen:

Es sollen auch die Fenster oder laden an den heusern zu neblicher und feuchter zeit nicht geöffnet werden, sondern wenn schön und clar wetter ist und die Sonne ein stund oder drey geschienen hat.

Denn schon die Anwesenheit einer einzigen inifizierten Person sei

eine grosse ursache, das viel menschen inn engen stuben, Badstuben, Gesellschafften, Marcktagen, Tantzboden, Wirdsheusern (die man meiden sol) vergifft werden. Deshalb ganz klar: Die örter da viel Leute zusamen komen, muss man vor allen dingen meiden.

Schwere körperliche Arbeit und übertriebene sportliche Aktivitäten galt es ebenfalls zu meiden:

In der Ubunge unnd leiblicher Arbeyt, soll man inn vergifftem Lufft, so Pestilentz hat angefangen, nit thun grosse ubunge mit springen, lauffen, tantzen.

Ein Arzt fühlt, ob der an Aussatz Erkrankte schon vom „pestilentzischen Fieber“ erfasst wurde, während ein anderer kritisch dessen Harn prüft. Holzschnitt in einem Wundarzneibuch von 1526 (VD16 G 1619)

Innere Reinigung

Weitere alltagspraktische Tipps richteten sich auf die Verminderung innerer Fäulnisprozesse durch Diätik: „Man sol die zeit solche speise essen/ die gute Narung gibt, leichtlich zu dawen sey/ und gut geblüte mache.“ Darüberhinaus wurde empfohlen, den Körper regelmäßig alle vier bis sechs Wochen zu reinigen, „denn es gehet mit unserm leibe zu/ wie mit einem Schornstein/ wenn man den nicht ausfeget/ so mus der letztlich ausbrennen“. Bestimmte Nahrungsmittel wie „alle feuchte/ feiste/ schleimige speise … feist Ochsen oder rindern fleisch“ soll gemieden und „viel Obst/ sonderlich das wässerig unnd bald faulend/ sol abgeschaffet werden.“ Ebenso sollte auf süßen, starken und neuen Wein verzichtet werden, diejenigen jedoch, „die gewonheit haben bier zu trincken die mögen bruchen von subtilem senfftem bier.“

Neben den diätetischen Verhaltensregeln galt das Ableiten der schlechten Säfte durch Aderlass und Purgieren als zwingende prophylaktische Maßnahme: „Hochnötig ist in solchen anflechtenden schwebenden seuchen/ daß der Leib rein und leer von bösen feuchtigkeiten gehalten werde“. Insbesondere der Aderlass galt als unverzichtbare Maßnahme bei bereits bestehenden Symptomen: „Die Ertzte wöllen/ das es von stund an gescheh/ und das man nicht uber vier und zwentzig stunden verziehe/ es sey zu tage odder nacht … denn wenn das blut verbrennet und hart wird/ ist es sehr sorglich“. Zur Veranschaulichung, an welcher Körperstelle der Aderlass vorgenommen werden sollte, wurden sogenannte Aderlassmännlein abgebildet, die häufig in Kombination mit den korrespondierenden Sternzeichen dargestellt wurden.

Einfuhrverbote, Quarantäne und Grenzschließungen

Auch der Staat reagierte und so wurde eine Vielzahl an amtlichen Verordnungen herausgegeben, um die Epidemie einzudämmen. Die schlesische „Neue Infections-Ordnung“ von 1680 wurde 1708 wegen der aktuell grassierenden Pest in Polen um den Passus „Mit Briefen aus inficirten Orten ist auf nachfolgende Weise zu verfahren“ aktualisiert.

Schon 1708 reagierte die Stadt Danzig und 1712 die Stadt Bremen mit Einfuhrverboten von „fremden verdächtigen Gütern und Waaren“ sowie einer „Praecludirung der aus contagiösen Oertern anhero kommende Persohnen“. In der Danziger Verordnung wird eine Konfiszierung der Waren und Güter aus Polen sowie „zu Haltung einer viertzig-tägigen Quarantaine ausserhalb der Stadt Gräntzen“ aufgefordert. In Berlin befürchtete Friedrich Wilhelm I. noch 1738, dass die noch immer in Ungarn und Siebenbürgen wütende Pest in das Königreich Preußen eingeschleppt werden könnte, weshalb weder Waren noch „verdächtige Leute, sie mögen Pässe haben oder nicht, und lange oder kurtze Zeit auf der Reise zugebracht haben, … in Unsere Lande durchaus nicht eingelassen, sondern sofort auf den Gräntzen zurück gewiesen werden [sollen].“

 

Der antike Arzt Galen in der Apotheke bei der Auswahl der geeigneten Heilmittel, um Salben, Pflaster und Pulver für die Behandlung zuzubereiten. Handkolorierter Holzschnitt von Hans Burgkmair d. Ä. in einem Lehrbuch für Wundarznei von 1534 (VD16 B 8706)

 … und das Geschäft mit Wundermitteln

Die mit königlichem Privileg ausgestattete Werbeschrift „Des berühmten Borry Gifft- Wund- und Heil-Balsam“ des Berliners Christian Printz, „Bürger/ Wachszieher/ Pfefferküchler und Methbrauer in Berlin/ wohnhafft auf der Grünstraße“, dessen Balsam sich bereits in Pestzeiten als gute Medizin bewährt habe, wirbt u.a. mit einem Echtheitssiegel.

(Text: Evelyn Hanisch)

Fragen? Unsere aktuellen Services

Die hier vorgestellten Pestschriften sind nur ein winziger Ausschnitt aus der Fülle digitalisierter Werke des 16. bis 18. Jahrhunderts, die die Staatsbibliothek zu Berlin in ihren Digitalisierten Sammlungen für Sie zum Stöbern bereit hält. Weitere Angebote finden Sie in unserem Blog Historische Drucke – etwa zu Druckerinnen im 16. Jahrhundert.

Sie haben Fragen zu bestimmten Ausgaben, Werken oder Exemplaren in den Beständen der Abtelung Historische Drucke und darüber hinaus? Trotz Schließung unserer Gebäude ist die Auskunft zu den Sondersammlungen des historischen Druckschriftenbestandes weiterhin erreichbar:

Anliegen, für die eine Überprüfung der Originale notwendig sind (z.B. Exemplarvergleiche, Provenienzermittlungen, Leihgesuche und Reproduktionsaufträge), bearbeiten wir soweit es möglich ist und senden Ihnen in jedem Fall eine Zwischennachricht zu. Nach Beendigung der Präventionsmaßnahmen werden sämtliche Anfragen und Aufträge vollständig bearbeitet.

Verfolgen Sie unsere aktuellen Informationen auf SBBaktuell und in den Sozialen Medien.

Und bleiben Sie gesund!

 

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