Interview mit Beatrice Golm (Kinder- und Jugendbuchabteilung)

Beatrice Golm ist langjährige Mitarbeiterin in der Kinder- und Jugendbuchabteilung (III K) der Staatsbibliothek. Im Interview sprach sie mit uns über ihren beruflichen Werdegang, Lieblingsbücher und den Titel ihres Lebens.

Auszubildende: Wie kamst Du zur Staatsbibliothek?

Beatrice Golm: In meiner Schulzeit wollte ich immer Lehrerin werden, wahrscheinlich weil das der einzige Beruf war, der einem so richtig erlebbar gemacht wurde. Und weil ich Kinder und überhaupt Menschen sehr gern habe, wenig Abstand zu denen habe, dachte ich, das wäre schön. Ich wollte auch Erzieherin werden für kleinere Kinder. Dann habe ich aber gemerkt, also man hatte so 30 Kinder, dass mich das total überfordert. Ich wollte dann für alle gleichzeitig da sein und habe dann viel Kopfweh bekommen. Ich musste einfach akzeptieren, dass ich hier an meine Grenzen stoße. Das war sehr schmerzhaft. Und dann dachte ich: gut, wenn es nicht die Kinder sind, dann müssen es die Bücher sein.

Dann habe ich das Studium angefangen in der Fachhochschule, damals in der DDR hieß es Fachschule, die war in der jetzigen Dorotheenstraße gleich hinter der Staatsbibliothek. Es war ein dreijähriges Fachschulstudium, das 1988 anfing. Dann wurde man delegiert. Man musste sich verpflichten, dass man nach dem Studium mindestens ein Jahr hier arbeitet. Eigentlich wollte ich damals gerne in die öffentliche Bibliothek, weil das noch serviceorientierter ist. Man ist dichter bei den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Dann wurde es eben hier die wissenschaftliche Bibliothek und das Studium war auch so ausgerichtet. Nun war es nach der Wende; 1991 wurden wir fertig. Ich kam dann zum Institut für Leihverkehr und Zentralkataloge. Die Abteilungen dieses Instituts wurden abgewickelt, aber die Stellen blieben erhalten.

Dann kam ich zur damaligen Hausdirektorin Frau Dr. Lülfing und die fragte mich … da muss ich immer weinen … (verdrückt ein paar Tränchen) ob ich zur Kinder- und Jugendbuchabteilung möchte. Ich habe gelacht und gesagt: „Frau Dr. Lülfing, warum fragen Sie mich das?“ Sie lachte dann auch und sagte: „Naja, ich muss Sie ja fragen! Das ist ja ein formeller Akt.“ Damals war die Kinderbuchabteilung sehr klein, das waren fünf Stellen. Und man hörte so von vielen, dass die in die Kinderbuchabteilung wollten. Denn jeder kann etwas damit anfangen, jeder war mal Kind. Es gibt diese Materialien, die einen irgendwie rühren und einen erinnern lassen. Ja, man hat irgendwie innerhalb dieser großen Institution so eine kleine Einheit, dadurch ist es familiärer. Und jeder, mit dem man sprach, wollte dorthin. Und nun, ohne dass ich mich bemühen musste, kam ich hierher. (lacht)

AB: Was gefällt Dir am besten an der Stabi?

BG: Nachdem wir jetzt zurückkamen aus dem Westhafen, fand ich es einfach großartig, dass man hier jetzt wirklich so ankommt. (Während der Sanierung des Hauses Unter den Linden war die Kinder- und Jugendbuchabteilung ersatzweise in der Nähe des Westhafens in Berlin untergebracht, Anm.d.Red.) Wir mussten innerhalb dieses Hauses immer umziehen und hatten dadurch fünf Lesesäle. Und wir wussten immer: irgendwann müssen wir ganz weg. Und jetzt, ich glaube vor zwei Jahren, sind wir dann zurückgekommen. Das war während der Pandemie und man konnte sich so gut eingewöhnen. Es war alles noch so still.

Früher, als ich hier anfing, wurde immer erzählt, was das vorher für ein ehrwürdiges Haus war. Bei der Freitreppe war so ein richtiger roter Läufer mit Messingstangen, sodass man auch richtig dachte: Staatsbibliothek! Aber damals war das nicht so. Ich dachte damals, als ich durch die Gänge ging, dass alles ziemlich runtergekommen war. Wie wird es gewesen sein, als die Bibliothek damals gebaut und eröffnet wurde? Und jetzt ist es eben so, dass manche ein bisschen ehrfürchtig werden, wenn man erzählt, man arbeitet in der Staatsbibliothek. Und dann sieht man, auch die Touristen kommen hier her. Dann wird einem bewusst, dass das hier ein Ort ist, den Leute in ihrem Urlaub aufsuchen. Und jetzt sind ja diese Stolpersteine gelegt worden. Und gestern in der Mittagspause habe ich gesehen, wie die Leute dann stehenbleiben, sich das durchlesen und vielleicht dadurch auch zu unserer Staatsbibliothek finden.

AB: Welche Tätigkeit übst Du denn aus?

BG: Also ich mache Lesesaaldienst, obwohl wir unseren Lesesaal nicht mehr haben, der ist jetzt in der Handschriftenabteilung, und da habe ich, je nach Dienstplan, mittwochs oder freitags Lesesaaldienst. Dann erwerbe ich die Antiquaria, also alles, was nicht im Buchhandel lieferbar ist, und mache sie für die Katalogisierung fertig. Originalillustrationen und Bilderbogen erwerbe ich. Wenn Karin Sellenthin nicht da ist, übernehme ich die Beantwortung der Anfragen, die im Abteilungspostfach landen. Dann übernehme ich die Umstellung, also, wenn zum Beispiel die Osteuropaabteilung etwas erwirbt und sie sehen, dass etwas mehr in unser Profil passt, dann schicken sie es uns rüber. Dann muss ich einen Umstellungsvorgang machen.

Dazu kümmere ich mich um die Erwerbung der Zeitschriften, sowohl die älteren, die man antiquarisch erwirbt, als auch um die Neuerwerbungen. Was besonders schön ist: Diana Johanns, sie macht dieses 10+1 im Lesesaal, wo sie jeden Monat ein Thema hat, zum Beispiel Rotkäppchen, Hunde oder Schnee, und bevor sie das rausschickt, möchte sie immer, dass ich korrekturlese. Ich freue mich, dass sie so ein Vertrauen hat, das ist richtig schön. Könnte ich mir im nächsten Leben auch vorstellen, Lektorin zu werden. Und das machen ja nicht alle bei uns, dass ich, wenn wir Praktikantinnen oder Praktikanten haben, für die da bin. Weiter fällt mir jetzt nichts ein.

AB: Was schätzt Du am meisten an Deiner Arbeit?

BG: Ich glaub mit 16 fing ich an, Bilderbücher zu sammeln, weil da eben das Kindliche und das Buch zusammenkommen. Ich mag Kunst sehr und ich schätze am meisten, dass ich Bilderbücher immer um mich hab und Originalillustrationen.

AB: Welcher ist Dein Lieblingsort in der Stabi?

BG: Der Lieblingsort ist, glaube ich, nach der Sanierung mein Arbeitsplatz. (Alle lachen) Ich mag, dass es so ein bisschen was Intimes ist und man viele Bücher um sich hat. Dass da die Kollegen kommen, wenn sie manchmal Fragen oder ein Problem haben. Diesen Ort mag ich sehr.

AB: Worauf kannst Du denn bei der Arbeit nicht verzichten?

BG: Also es gibt ja Leute, die wünschen sich ein Einzelbüro. Aber alle in meiner Abteilung wissen, dass ich immer den Raum brauche, in dem die meisten Leute sitzen. In der DDR gab es ja immer solche Betriebsferienlager. Viele Betriebe hatten so ein Ferienlager und da war ich jeden Sommer drei Wochen. Da war man ja zu acht in einem Zimmer und ich fand das wunderbar. Und das prägt einen, darum bin ich in dem Raum, wo viele Leute sitzen. (lacht) Obwohl ich auch merke, dass man mehr Ruhe braucht, wenn man älter wird.

AB: Was war denn das schönste Kompliment, das Du auf der Arbeit erhalten hast?

BG: Das schönste Kompliment kam von meiner Leiterin. Sie hat irgendwann mal gesagt, dass ich die E-Mails so liebevoll schreibe. Da mir die Sprache und das Schreiben so wichtig sind, fand ich es schön, dass mir eine Frau, die Germanistin ist, dazu etwas Freundliches sagt.

AB: Welches Buch hast Du zuletzt gelesen?

BG: „Das Sommerstück“ von Christa Wolf. Sie war in der DDR und auch danach eine große Autorin der Gegenwart. Sie hat teilweise Texte geschrieben, die für mich nicht so leicht zugänglich sind. Das war ein Buch, an dem ich mich mit 17 versuchte, aber keinen Zugang fand. Mit 19 hatte ich eine bestimmte Lebenssituation, da habe ich dann nochmal versucht, es zu lesen und fand plötzlich einen Zugang dazu und verstand gar nicht, dass ich das vorher nicht hatte.

AB: Würdest Du sagen, das ist Dein Lieblingsbuch oder hast Du ein anderes?

BG: Nein, mein Lieblingsbuch ist ein Buch von Milda Drüke, das heißt „Ratu Pedanda“. Oder vielleicht doch „Die Gabe der Seenomaden“!? Also, wenn es brennt, müsste ich die Beiden auf jeden Fall mitnehmen! Milda Drüke war ursprünglich Fotografin und hat die Welt bereist, unter anderem Indonesien. Da war ich auch mal kurz nach dem Studium 1991. Sie hat dort die Seenomaden gesucht. Und weil ich selber mit meinem Mann einen Kahn habe und das Wasser sehr gerne habe, ist das mein Lieblingsbuch.

AB: Auf welche Frage hattest Du zuletzt keine Antwort?

BG: Das ist jetzt sieben Jahre her … da haben wir das Schreibhaus von Virginia Woolf besucht. Da hieß es: „Welchen Titel würdest Du deinem Leben geben?“. Mein Mann hatte einen Titel und unsere Kinder auch. Und ich? Naja, wenn man so viele wählen könnte … Jetzt weiß ich den, aber damals war es die letzte Frage, wo ich bewusst keine Antwort hatte.

AB: Und was wäre der Titel deines Lebens?

BG: Also jetzt wäre der Titel „Genug“. Nicht im Sinne von „Ich habe genug jetzt, mir ist alles zu viel“, sondern – ich sag das zu meinem Mann auch immer – wenn mir was passiert, dann musst Du wirklich wissen: es ist genug. Alles ist genug. (Alle weinen)

AB: Oh, wie schön.

AB2: Da kommen mir auch die Tränen.

BG: Der Titel ist zwar irritierend, denn, wenn man den lesen würde, denkt man vielleicht erstmal „Oh, die will jetzt abschließen mit allem“, aber wenn jetzt was geschehen würde, dann würde ich wissen, dass ich reich bin. Genug.

AB: (immer noch weinend) Mensch, ich habe mir heute die Wimpern geschminkt!

AB2: Ich auch!

BG: Ja, ich habe deswegen immer wasserfeste Schminke. Einmal habe ich an Thanksgiving gesagt, dass ich für die Erfindung des Fahrrads dankbar bin und dafür, dass es wasserfeste Schminke gibt. (Alle lachen)

AB: Was möchtest Du den Menschen über Bibliotheken mit auf den Weg geben?

BG: Also ich würde immer sagen, dass ich in einer wissenschaftlichen Bibliothek arbeite, dass ich es aber genieße, in Berlin zu sein und einen Leseausweis für die öffentlichen Bibliotheken zu haben. Es gibt so viele in Berlin. Ja, was ich Leute mitgeben würde…? Es kommt ja immer darauf an, es muss natürlich jemand sein, der eine gute Verbindung zu Büchern hat. Sonst hat das glaube ich nicht so viel Sinn.

AB: Aber man kann in öffentlichen Bibliotheken heutzutage auch mehr als nur Bücher ausleihen.

AB2: Ja, ich habe ein Praktikum in einer öffentlichen Bibliothek gemacht, da haben wir gerade eine Hüpfburg zum Ausleihen erworben. In einer Kinderbibliothek. Kann man sich da abholen.

BG: Ja siehst Du, das wusste ich gar nicht! Bibliotheken sind überhaupt so schöne Begegnungsstätten. Die Bibliothek am Luisenbad zum Beispiel, die finde ich so schön. Oder in Reinickendorf, die Bibliothek am Humboldthafen, ich weiß nicht, ob ihr die kennt? Die ist auch sehr schön. Eine Bibliothek ist ein Ort der Begegnung. Ein schöner Kulturort. Das würde ich immer sagen.

AB: Wenn Du drei Wünsche frei hättest, welche wären es?

BG: Einer wäre, dass für unseren Sohn alles gut läuft. Der möchte Polizist werden und ist bei der Schutzpolizei und der erzählt natürlich viele Sachen. Da hoffe ich, dass er immer wohlbehalten ist. Der andere ist, dass ich vor meinem Mann sterbe. Ich habe ja meine Eltern beim Sterben begleitet, weshalb das sowieso immer so ein dichtes Thema ist. Und mein Mann hat sehr viel Energie. Wir haben gerade den 90. Geburtstag seiner Mama gefeiert, sein Papa ist auch 90 Jahre. Und dann hoffe ich doch, dass er auch noch diese Energie hat … da habe ich nicht so viel Angst vor dem Tod.

AB: Vielen Dank für dieses Gespräch!

AB2: Es war sehr schön.

BG: Ich freue mich, dass ich die Fragen beantworten konnte!

 

Wir bedanken uns herzlich bei Beatrice Golm für ihre Zeit und das tolle Interview!

Das Interview fand im Rahmen des FaMI-Takeovers am 11.08.2023 statt.

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