Ein „Gastarbeiter“ in Florenz: Johannes Krach auf der Suche nach einer festen Anstellung in der Heimat

Der Kodex, um den es hier geht, hat viele Besonderheiten. Es handelt sich um ein Werk des Donatus Acciaolus (1429–1473), das die Lebensgeschichten Karls des Großen, Hannibals und Scipio Africanus‘ enthält. Donato war ein Humanist und Politiker und gehörte der berühmten Florentiner Familie der Accaiaouli an. Die Biographie von Karl dem Großen – einem verehrten modellhaften Herrscher – schrieb er für den gerade erst am 15. August 1461 gekrönten französischen König Ludwig XI. Die florentinischen Gesandten präsentierten das passende und schmeichelhafte Geschenk am 2. Januar 1462, nachdem sie am 27. Oktober 1461 nach Frankreich aufgebrochen waren. Die prächtig ausgestattete Widmungshandschrift ist in Cambridge im Fitzwilliam Museum unter der Signatur Ms. 180 erhalten.

Abb. 1: Widmungsbrief an Peter Wimars, Ms. Phill. 1905, fol. 1 (Foto: Bertram Lesser)

Das Berliner Manuskript ist auch jemandem gewidmet, der zwar nicht aus dem europäischen Hochadel stammt, jedoch auf andere Weise berühmt ist: Peter Wimars (gest. 1494), Sekretär und langjähriger Freund des Humanisten Nikolaus von Kues. Er begleitete diesen auf seinen Reisen, unter anderem nach Rom zu seiner Ernennung zum Kardinal im Januar 1450. Peter von Erkelenz, wie er auch nach seinem Geburtsort genannt wurde, ist die Berliner Handschrift durch die Vorrede kenntlich zugedacht (Abb. 1); dort wird er Peter Herclens genannt und als Dekan der Marienkirche in Aachen bezeichnet. Das Amt des Stiftsdechanten des Aachener Marienstifts wurde ihm von Papst Paul III. 1466 in Rom verliehen. Auch zu Beginn der Karlsvita, dem eigentlichen Buchbeginn, ist Peter Wimars präsent: Das Wappen – ein Agnus Dei – ist dort unten auf der Seite in einem von Engelchen gehaltenen Lorbeerkranz zu sehen, und zur besseren Erkennbarkeit wurde eine Umschrift in Gold ausgeführt: Arma D. Petri Hercles (Abb. 3, 6). Dabei handelt es sich nicht um ein Familienwappen, sondern um das, was Peter Wimars als Aachener Stiftsdechant führte. Häufig in Rom und auf Reisen, nahm Wimars ab 1471 dieses Amt tätig wahr.

Abb. 2: Ende des Widmungsbriefes mit Namensnennung, Ms. Phill. 1905, fol. 2 (Foto: -Bertram Lesser)

Derjenige, der diese prächtig gestaltete Handschrift verschenkte, nennt sich am Ende der Vorrede: Johannes Krach (Abb. 2). Über diesen Mann, der offenbar dieses Manuskript auch selbst geschrieben hat, wissen wir aufgrund der Forschungen von Lorenz Böninger so einiges (die hier wiedergegebenen biographischen Daten stammen aus seinem unten zitierten Buch). Der Wissenschaftler fand in einem der Registerbände, die Johannes Krach in Florenz später geschrieben hat, einen Briefentwurf desselben an seine Familie in Aachen.

Der Mann, der in Quellen auch Giovanni d’Agio, also Johannes aus Aachen genannt wird, gehörte zu den Zuwanderern, die in Italien ihr Glück suchten. Zunächst hielt sich Johannes Krach 17 Monate in Rom auf, doch dort hat es ihm wegen des Kimas nicht gefallen und wahrscheinlich wird es schwer gewesen sein Arbeit zu finden. Auf dem Land hat er dann Anstellung bei einem Doktor gefunden, der ihn förderte und einen Bischof dazu brachte, ihn zum Notar zu ernennen. Das bedeutet, dass er Latein gekonnt und inzwischen des Italienischen mächtig gewesen sein wird. Es spricht viel dafür, ihn für einen Kleriker zu halten. Von Florenz aus schrieb er diesen Brief, voller Stolz „es geschafft“ zu haben.

Abb. 3: Titelblatt, Ms. Phill. 1905, fol. 3v (Foto: Bertram Lesser)

Abb. 4: Beginn der Vita Karls des Großen, Ms. Phill. 1905, fol. 4 (Foto: Bertram Lesser)

Er ist als Urkundsbeamter beim Handelsgericht angestellt und hat dort von 1464 bis 1466 elf Registerbände gefüllt. Im Anschluss hat er als Kopist zusammen mit Hugo Nicolai de Comminellis, der ebenfalls vorher am Handelsgericht tätig war, an einer Handschrift gearbeitet. Beide haben 1467/68 zu diesem Zweck in Santa Maria del Carmine gewohnt. Sein französischer Kollege aus Mezières hat Karriere gemacht, er ist der Schreiber der 1476 bis 1478 fertig gestellten Bibel des Federico III. da Montefeltro, Herzog von Urbino (Rom, Vatikan, Urb. lat. 1-2) und weiterer bedeutender Handschriften für diesen Auftraggeber. Welche Stelle Johannes Krach danach innehatte, ist nicht bekannt, doch hat er sich weiterhin in der Arnostadt aufgehalten, denn er zahlte Beiträge an die Barbara-Bruderschaft von 1469 bis 1473.

Abb. 5: Beginn der Vita des Hannibal, Ms. Phill. 1905, fol. 34 (Foto: Bertram Lesser)

Für die Berliner Handschrift hat der Aachener in Florenz ordentlich Geld in die Hand genommen, um ein nach der neuesten Mode gestaltetes humanistisches Buch zu erhalten. Es zählt 130 Blatt Pergament mit den Maßen 20 x 13 cm und besitzt insgesamt sechs große goldene Initialen vor blauen, roten und/oder grünen Feldern mit weißen Ranken. In der Initiale zu Beginn der Karlsvita möchte man in der Rechten des Kaisers ein Modell der Aachener Marienkirche erkennen (Abb. 4). Dann besitzt sie – auch das nach humanistischer Manier – ein Titelblatt als purpurne Tafel mit abwechselnd silbernen und goldenen Zeilen in einem blau-goldenen Rahmen mit Goldpunkten (Abb. 3). Der Textanfang auf fol. 4 enthält zusätzlich eine vierseitige Bordüre aus rosa und blauen Blüten, die aus einer Vase rechts unten sprießen sowie der von Putten gehaltene Wappenkranz unten und einem Medaillon mit dem Christuskürzel IHS oben. Im Textspiegel oben eine grüngrundige Inschrifttafel mit der Vorrede zur Karlsvita. Die weiteren Textanfänge sind Goldinitialen auf blauen, roten und grünen Flächen mit weißen Ranken gestaltet (Abb. 5).

Abb. 6: Beginn der Vita Karls des Großen, Ms. Phill. 1905, fol. 1, Detail (Foto: Bertram Lesser)

Abb. 7: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Urb. lat. 491, fol. 1, Detail © Biblioteca Apostolica Vaticana

Dieser Dekor befindet sich auf der Höhe der Zeit. Die kleinen Putti, die den Wappenkranz halten, sieht man beispielsweise auch in elaborierterer Form in der um 1472 bis 1474 entstandenen Handschrift Urb. lat. 491  aus dem Besitz von Federico III. da Montefeltro, Herzog von Urbino (Abb. 6-7). Zugeschrieben wird diese Arbeit dem florentinischen Buchmaler Francesco Rosselli. Bei ihm findet man auch die Ranken aus rosa und blauen Blüten (siehe zum Beispiel Urb. lat. 52) sowie wenn auch komplizierter gestaltete Vasen. Die Eleganz der Ausführung lässt beim Manuskript des Johannes Krach etwas zu wünschen übrig, weshalb man eher einen Mitarbeiter Rossellis als Maler annehmen wird.

Doch wie kommt ein Aachener Arbeitsmigrant an einen führenden florentinischen Buchmaler der Zeit? Offenbar war seine Anstellung am Handelsgericht nach 1466 nicht mehr sicher, weil er sich zusammen mit Hugo de Comminellis in der Handschriftenproduktion versuchte. Während der Franzose dort Erfolg hatte und mit dem wichtigen Buchhändler Vespasiano da Bisticci zusammenarbeitete, der ihm unter anderem die Aufträge für Federico da Montefeltro verschaffte, hatte Johannes Krach nicht dieses Glück. Aber über den französischen Kollegen verfügte er in jedem Fall über die Kontakte, und vielleicht hat er doch auch in diesem Metier gearbeitet, denn bis 1473 Beiträge hat er für die Florentiner Barbara-Bruderschaft gezahlt, war also noch im Geschäft tätig. Doch werden sich seine Aussichten nicht gut gestaltet haben, weshalb er mit dem bedeutenden Geschenk des Manuskripts an Peter Wimars seine Rückkehr in die deutsche Heimat vorbereitet haben wird, gewissermaßen eine Art Initiativbewerbung. Die Karlsvita passt vorzüglich wegen des Bezugs zu Aachen. Johannes Krach mag den seit 1471 aktiv wirkenden Stiftsdechant des Aachener Marienstifts schon in Rom kennengelernt und vielleicht in Florenz wieder getroffen haben.  Um 1473 bis 1475 mag die Berliner Viten-Handschrift entstanden sein, denn danach verlieren sich die Spuren des Johannes Krach in Florenz. Wenn er nicht mit dem in den Quellen zu Weihnachten 1474 dort gestorbenen Giovanni d’Asia identisch ist, hat er vielleicht mithilfe des Berliner Manuskripts Peter Wimars Interesse wecken können und durch ihn eine Pfründe in der Heimat erhalten haben.

 

Ich danke herzlich Maria Theisen von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für die Hilfe bei der stilistischen Einordnung und Bertram Lesser von der Stabi für die Fotos und die Bereitstellung der Literatur.

 

Man kann die Handschrift bis Ende Juli 2025 im Stabi Kulturwerk betrachten.

 

Literatur:

Valentin Rose, Verzeichniss der Lateinischen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Erster Band: Die Meermann-Handschriften des Sir Thomas Phillipps (Die Handschriften-Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Zwölfter Band), Berlin 1893, Nr. 154.

Joachim Kirchner, Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen und des Initialschmuckes in den Phillipps-Handschriften (Beschreibende Verzeichnisse der Miniaturen-Handschriften der Preussischen Staatsbibliothek zu Berlin; Bd. 1), Leipzig 1926, S. 93–94.

Lorenz Böninger, Die deutsche Einwanderung nach Florenz im Spätmittelalter (The Medieval Mediterranean 60), Leiden 2006, S. 291–298.

Uwe Israel, »Gastarbeiterkolonien«? Wie fremd blieben deutsche Zuwanderer in Italien?,  in: Reinhard Härtel (Hg.), Akkulturation im Mittelalter. (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte). Ostfildern 2014, S. 295-338.

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