Künstliche Intelligenz – beim Wort genommen
Ein Beitrag aus unserer Reihe Künstliche Intelligenz zum Wissenschaftsjahr 2019
Künstliche Intelligenz – derzeit ist überall davon die Rede. Der Ausdruck ist so omnipräsent, dass immer häufiger abgekürzt von „KI“ gesprochen wird. Eine klare Vorstellung davon, was damit gemeint ist, muss keineswegs deswegen ebenso weit verbreitet sein.
Versuchen wir uns an einer Betrachtung von der Wortbedeutung her. Laut Duden Universalwörterbuch gehört der Begriff künstliche Intelligenz zum Bereich der EDV und bezeichnet die
„Fähigkeit bestimmter Computerprogramme, menschliche Intelligenz nachzuahmen“.
Dass dies für eine fachwissenschaftliche Begriffsbestimmung nicht ausreicht, liegt schon allein daran, dass der Begriff der Intelligenz nicht eindeutig definiert ist. Allgemeinsprachlich können wir uns abermals dem Duden zuwenden: Danach ist Intelligenz die
„Fähigkeit [des Menschen], abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten“.
Das Wort kommt natürlich aus dem Lateinischen, und das Duden Herkunftswörterbuch verrät Näheres: Intelligenz ist das Substantiv zu dem Adjektiv intelligent „einsichtsvoll, [sach]verständig; klug, begabt“, im 18. Jh. entlehnt aus lat. intelligens (Genitiv intelligentis), Part. Präs. von lat. intellegere „erkennen, verstehen“, das seinerseits gebildet ist aus * inter-legere, im eigentlichen Wortsinn ‘zwischen etwas wählen’.
Was bedeutet das nun für die Realitätsnähe bzw. -ferne künstlicher Intelligenz im oben genannten Sinne? Die Fähigkeit, Informationen zu erfassen, zwischen ihnen Beziehungen herzustellen, daraus neue Informationen zu gewinnen und Aktionen abzuleiten (so mein Versuch einer stark verallgemeinernden Umschreibung) scheint in Computerprogrammen durchaus realisierbar. Doch die kritische oder mehr oder weniger willkürliche Auswahl von Informationen ist für elektronische Speicher schlecht vorstellbar, soweit sie nicht auf Filtern nach wie kompliziert auch immer gestalteten Regeln basiert. Eine ungeordnete nachträgliche Selektion einmal gespeicherter Informationen gar – analog zu der so wichtigen menschlichen Gedächtnisfunktion des Vergessens – wäre für Maschinen untypisch, und sie kann auch nicht gewollt sein. Liegt vielleicht gerade darin die „Chance“ für die Computer, das menschliche Denken zu übertrumpfen? Bleibt die Frage, ob eine die Nachahmung übersteigende Optimierung menschlicher Denkprozesse von der anfangs zitierten Duden-Definition abgedeckt ist.
Verlassen wir die Allgemeinsprache und ergründen das Thema von fachlicher Seite. Zuerst eine knappe und charmante Definition: Nach dem amerikanischen Computerpionier Marvin Minsky ist Künstliche Intelligenz die
„Wissenschaft, Maschinen Dinge tun zu lassen, zu denen Menschen ihre Intelligenz benutzen müssten“
(deutsche Übersetzung zitiert nach John Lyons: Die Sprache, München 1983, S. 236).
Einschlägige terminologische Wörterbücher definieren abstrakter Künstliche Intelligenz als Disziplin oder Forschungsrichtung, die sich damit befasst, menschliche Intelligenz und Denkfähigkeit und durch diese gelenkte Tätigkeiten mit elektronisch gesteuerten Systemen zu simulieren und durch Modellierung zu verstehen. Eine gute, allumfassende Definition von Gegenstand und Aufgaben abseits der Aufzählung typischer Betätigungsfelder ist noch nicht gefunden. Der aufmerksame Leser wird aber bemerkt haben, dass Künstliche Intelligenz hier nicht im Sinne einer Fähigkeit, sondern als darauf gerichtete Forschung oder sogar als eigenständiges akademisches Fachgebiet verstanden wird – im Sinne des vereinzelt angetroffenen Begriffs „KI-Forschung“. Mitunter werden auch Methoden, Verfahren oder Software selbst als Künstliche Intelligenz bezeichnet.
Kurz, es zeichnet sich ein Unterschied ab zwischen „künstlicher Intelligenz“ und „Künstlicher Intelligenz“, und nur letztere wird „KI“ abgekürzt.
Wo liegt aber der Ursprung? In englisch „Artificial Intelligence“, das erstmals im Jahr 1956 als Thema einer Konferenz in den USA verwendet wurde. Wenngleich die Idee der Nachahmung menschlicher Fähigkeiten durch Maschinen wesentlich älter ist, gilt jene Zusammenkunft als Geburtsstunde des neuen Fachgebietes. Die Übersetzung ins Deutsche als „Künstliche Intelligenz“ ließ nicht lange auf sich warten und wurde schnell gebräuchlich. Eingeordnet als Teilgebiet der Informatik, worin sie vor allem ihre praktische Komponente verankert, ist die Disziplin besonders in ihrer theoretischen Ausrichtung grundsätzlich interdisziplinären Charakters: Die direktesten Bezüge bestehen zur Kognitionswissenschaft; daneben gibt es Berührungspunkte mit Psychologie, Neurowissenschaften, Linguistik, Philosophie – sobald sich Forschung mit Denkprozessen beschäftigt, kann sie als relevant herangezogen werden.
Nun wird kaum etwas in engerem Zusammenhang mit dem Denken diskutiert als Sprache: Nicht dass gedankenlose sprachliche Äußerungen unvorstellbar wären, sondern es geht im (sprach)philosophischen Disput umgekehrt darum, ob Denken ohne Sprache überhaupt möglich sei. Also war Sprache von Anfang an eine zentrale Frage der Künstlichen Intelligenz? – Dem ist nicht so. In der Gründungsphase bis Mitte der 60er Jahre ging es um die grundsätzliche technische Machbarkeit, man beschäftigte sich mit dem Lösen von Puzzles, dem Beweisen mathematischer Sätze, mathematischen Operationen und Strategiespielen wie Dame und Schach. Erst Anfang der 70er Jahre etablierte sich sprachorientierte Künstliche Intelligenz als zentrales Forschungsfeld. In den Fokus rückte die maschinelle Sprachverarbeitung mit den Grundproblemen Erkennen, Verstehen und Generieren geschriebener wie gesprochener Sprache als Basis für jede Form von Mensch-Maschine-Interaktion.
Nicht unerwähnt bleiben kann jedoch, wenn es um die Rolle von Sprache für die künstliche Intelligenz geht, der bereits 1950 entworfene Turing-Test, bei dem sprachliche Kommunikationsfähigkeit als Prüfkriterium für die Zuerkennung (der menschlichen gleichkommender) maschineller Intelligenz herangezogen werden soll: Ein Computer könne als intelligent bezeichnet werden, wenn ein Mensch durch beliebiges Befragen (per Tastatureingabe) nicht herausfinden kann, welche Antworten von einem anderen Menschen kommen und welche von dem Computer. Die Versuchsanordnung wurde damals von Alan Turing konzeptionell entwickelt, ohne dass er die Rechenmaschinen seiner Zeit für reif für diesen Test hielt – den einen Computer bestehen zu sehen auch heute noch Ziel und Herausforderung ist.
Doch ist für die Kombination Sprache + Computer nicht ein eigenes Fachgebiet zuständig, die Computerlinguistik? Wie ist ihr Verhältnis zur Künstlichen Intelligenz?
Dem werden wir in einem der folgenden Beiträge unserer Blogreihe nachgehen.
Vorschau: Im nächsten Beitrag geht es nun philosophisch weiter – wir schreiben über ethische Aspekte, die zur Künstlichen Intelligenz diskutiert werden!
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