Jahrhunderte währende Klimaveränderungen dokumentiert: Ausstellung „Kartographie und Kunst als bunte Klimazeugen“

Klimawerte werden erst seit dreihundert Jahren exakt gemessen, die ersten Regeln zur Temperaturmessung datieren rund einhundert Jahre zurück. Woraus aber schöpfen wir heute Gewissheiten über frühere Klimawandel und Veränderungen der Natur? Dazu befragen Wissenschaftler mittels Eisbohrkernen, Pollenanalysen und anderer Methoden nicht nur die indirekten geologischen Klimazeugen. Sie stützen sich auch auf Zeugen ganz anderer Art, welche in Museen, Bibliotheken und Archiven darauf warten, die in ihnen auch rund um die Entwicklung des Klimas gespeicherten Informationen preiszugeben: Ölgemälde, handgezeichnete Landkarten, Altanten, Chroniken, Jahreszeiten- und Monatsbilder und anderes mehr.
Wie groß die Ausdehnung von Meereis im Europäischen Nordmeer zwischen dem 2. und 15. Jh. war, dass die zurecht vermutete Nordwest-Passage Richtung China durch Packeis blockiert war und erst 1850 direkt nach dem Ende der „kleinen Eiszeit“ entdeckt werden konnte, dass Weinanbau bis weit in den Norden Europas hinein verbreitet war, jedoch mit dem Vordringen der Alpengletscher aufgegeben werden musste, wie groß die maximale Ausdehnung der Gletscher um 1850 war und wie sich ihr massiver Rückzug bis heute gestaltet, wann Darstellungen von Schnee erstmals in Wandmalereien, Stundenbüchern und anderen Werken auftauchten — die Ausstellung „Kartographie und Kunst als bunte Klimazeugen“ gibt ungewöhnliche Antworten auf Fragen an die Geschichte des Klimawandels und der fortwährenden Klimaveränderungen in Europa.
Der Kurator der Ausstellung, Kurt Brunner, ist Professor für Kartographie und Topographie an der Universität der Bundeswehr München und Mitglied der Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums des Freundeskreises für Cartographica in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz e.V. arrangierte er 40 Objekte in zwei fünf Meter langen Wandvitrinen sowie in fünf weiteren Vitrinen zu einer Ausstellung, die sich auf mehrere große Themenkomplexe verteilt:

  • Klimavariabilität — Der fortwährende Wandel des Klimas verzeichnete allein in den letzten zwei Jahrtausenden fünf große Klimaepochen, die anhand von Klimadiagrammen nachvollzogen werden können: Klimaoptimum der Römerzeit (200 v.Chr. — 400 n.Chr.), Klimapessimismus der germanischen Völkerwanderungen (400 — 800), Mittelalterliches Klimaoptimum (800 — 1300), allgemeine Klimaverschlechterung im 14. Jh. mit Kleiner Eiszeit (1450 — 1850), zeitgenössisches Klimaoptimum (seit 1850).
  • Ptolemäus-Handschriften — Lateinische Weltkarten, im 15. Jh. nach Zeichnungen des griechischen Geographen und Mathematikers Claudius Ptolemäus aus dem 2. Jh. gefertigt, belegen das zwischenzeitliche Vordringen von Meereis bis nach Europa — bei Ptolemäus waren solche Hinweise noch nicht enthalten. In der Ausstellung befinden sich Karten verschiedener Autoren in Ptolemäischer Darstellung, darunter aus dem ersten in Deutschland hergestellten Ptolemäus-Atlas von 1482.
  • Jahreszeiten- und Monatsbilder – Seit der Antike zeichnen die Menschen ihr Leben in den verschiedenen Jahreszeiten. Schon viele Jahrhunderte zuvor hatte das Motiv des offenen Feuers eine große Rolle gespielt, als im 14. Jh. die ersten Winterbilder mit realistisch dargestelltem Schnee auftauchten. Ein besonderes Zeugnis ist die Wandmalerei im Löwenturm in Trient von 1405, wo ein Januarbild mit der Darstellung einer Schneeballschlacht erhalten ist. Ein handschriftliches Lehrbuch der Astronomie und Kalender der Diözese Mainz aus der Zeit um 1450, zu sehen in der Ausstellung, zeigt in einem Monatsbild für den Februar einen Mann, der seine Füße am Feuer wärmt.
  • Die Suche nach einer Nordwest-Passage — Weltkarten und Atlaskarten aus mehreren Jahrhunderten zeigen, dass die lange Suche nach der Passage nicht allein mit Navigationsgeschick, Ausstattung sowie dem Willen und Können der Seeleute zu tun hatte, sondern dass die Natur die seit dem 16. Jh. vermutete Passage erst 1850 mit dem Schmelzen des Packeises für den Menschen frei gab. Dokumentiert wird dieses Kapitel der Entdeckerfahrten anhand von Karten aus der Offizin von Blaeu sowie durch die berühmten Atlanten von Adolf Stieler, deren verschiedenen Ausgaben der jeweilige Forschungsstand zu entnehmen ist.
  • Augenschein-, Regionalkarten und frühe Landesaufnahmen – Ab 1500 treten neue Karten auf: Für Verwaltung und Gerichte gezeichnete Augenscheinkarten, gedruckte Regionalkarten, erste handgezeichnete Ergebnisse von Landesaufnahmen. Diese kartographischen Produkte belegen u. a. die klimabedingte Einstellung des Weinbaus in nördlichen Regionen sowie das zum Teil massive Vorstoßen von Alpengletschern im 16. und 17. Jh., in der Ausstellung an Beispielen aus dem Filstal und dem Donautal zu verfolgen.
  • Winterlandschaften bei Pieter Brueghel d. Ä.und Caspar David Friedrich – 1565 schuf der flämische Maler Pieter Brueghel d. Ä. mit dem Gemälde „Jäger im Schnee“ die berühmteste Winterlandschaft der europäischen Malerei. Im gesamten 17. Jh. malten danach flämische und holländische Künstler viele Winterbilder, die Eisvergnügen wie das Schlittschuhlaufen beinhalten. Im 19. Jh. malte der deutsche Romantiker Caspar David Friedrich zahlreiche Bilder mit Eis und Schnee, darunter 1823/24 das Ölgemälde „Das Eismeer“, welches in faszinierender Präzision Meereisschollen vor einem gestrandeten Schiff zeigt. Die Ansicht der Eisschollen hatte Friedrich zuvor auf der Elbe studieren können. Abbildungen aus Büchern rufen die berühmten Gemälde ins Gedächtnis.

Kartenwerke des 18. und Hochgebirgskarten ab Mitte des 19. Jh.- 1774 dokumentiert der „Atlas Tyrolensis“ in einer Grundrissdarstellung die Stände der Gletscher jener Zeit; zur Mitte des 19. Jh. werden erste Karten bearbeitet, welche sich ausschließlich dem Phänomen Gletscher widmen und dabei unbewusst den letzten Maximalstand der Alpengletscher um 1850 dokumentieren. Ab 1880 entstehen in den Ostalpen zahlreiche genaue Gletscherkarten in großen Maßstäben, welche den seit 1850 anhaltenden Rückzug der Alpengletscher belegen. In der Ausstellung sind Karten desselben Gebietes zu unterschiedlichen Zeiten und mit rekonstruierten Zeitschnitten ausgestellt.


Die Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin beherbergt eine der größten Kartensammlungen der Welt, deren Grundstock 1859 mit der Übernahme der Kartenbestände des Königlichen Kartographischen Instituts gebildet wurde. Bedeutende Nachlässe kamen in den folgenden Jahrzehnten hinzu, schließlich erfolgte 1919 die umfangreichste Vermehrung der Bestände durch die Übernahme des Kartenarchivs des Preußischen Großen Generalstabs mit über 200.000 Karten.

Die Abteilung besitzt ca. 1,170.000 kartographische Dokumente, darunter über eine Million Kartenblätter (30.000 davon handgezeichnet), 30.500 Atlanten, 33.600 kartographische Schriften, 155.000 topographische Ansichten, 200 Globen, 1.900 CD-ROMs mit Karten, Ortsverzeichnissen etc.

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