Von Schlitzohren & Büchermardern

Geschichten um und aus der Staatsbibliothek zu Berlin

Von Lilly Welz –  Freiwillige im Freiwilligen Kulturellen Jahr 2018/2019

Während meines Freiwilligen Jahres erhalte ich täglich neue Einblicke hinter die Kulissen der Staatsbibliothek. Anekdoten über Begegnungen mit Nutzer*innen und Mitarbeiter*innen kann einem hier fast jede*r erzählen. Was mich aber auch interessiert hat, ist wie die Stabi in der Öffentlichkeit erlebt wird. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, mich in meinem Projekt für dieses Jahr in die Online Archive einiger Zeitungen (hauptsächlich Tagesspiegel) zu stürzen und nachgesehen, über was sie bisher zu berichten hatten und meine persönlichen Highlights hier zusammengefasst.

Ich möchte Sie hiermit zu einer kleinen Expedition durch die Berichterstattung über die Staatsbibliothek einladen.

Bei meiner Recherche sind mir besonders die Essays einiger Journalist*innen ins Auge gesprungen, die ihre Erfahrungen bei der Benutzung der Staatsbibliothek darstellen und ein lebendiges Bild des Alltags in den Lesesälen zeichnen.

David Wagner hat in seinem Essay „Chill-Out im Kuschelsessel„, der am 02.11.1998 im Tagesspiegel veröffentlicht wurde, eine Staatsbibliothek beschrieben, die es heute so nicht mehr gibt. Zum Anlass der damals neuerdings erhobenen Benutzungsgebühr, erzählt er von der Recherche in den alten Zettelkatalogen, den zu diesem Zeitpunkt noch handschriftlich auszufüllenden Leihscheinen, vom Verhalten der Nutzer*innen und dem einzigartigen Ambiente. Er beschreibt auch die „Stabilette“: ein bestimmter Typ Nutzerin, die „hellblaue Blusen zu frischgewaschenen Jeans“ trägt und immer wieder nach Italien fährt um ihre „Gucci-Gürtelsammlung“ auszubauen. Im Lesesaal erkenne man sie daran, dass sie „ganzjährig mit Hustenbonbons und Tempotaschentüchern bewaffnet [sind]“ und sich manchmal ihre „Gehörgänge […] mit gelben Ohropaxknubbeln“ verstopfen. Ich selbst bin dieser Art Leserin noch nicht im Lesesaal der Staatsbibliothek begegnet.

Wagner geht ebenso auf ein Klischee ein, dass sich immer noch in der Presse hält: Die Stabi als ein „Flirting-Hotspot“ für Studierende. Im Kommentar „Unis gelten als ideales Aufreiß-Revier – völlig zu Unrecht wird dieses Gerücht seit Jahrzehnten kolportiert„, der am 21.10.1999 veröffentlicht wurde, widmet die Autorin Josefine Janert diesem Phänomen zwei ganze Absätze. Sie zitiert sogar eine Mitarbeiterin der Cafeteria, die das Flirtverhalten der Nutzer*innen dort beschreibt. Diese „Schlitzohren“ ließen ihren Blick wohl vor Verlassen der Cafeteria noch einmal suchend durch die Menge schweifen, um ja keine Flirt-Gelegenheit zu verpassen. Dass dieses Gerücht nicht ohne Grund existiert, konnte ich im letzten Jahr sogar live miterleben. Ein frisch verheiratetes Ehepaar, das sich vor der Staatsbibliothek kennengelernt hat, wollte gerne seine Hochzeitsfotos im Haus Potsdamer Straße machen lassen.  Dies wurde auch ermöglicht und an besagtem Tag konnte ich die Braut von meinem Platz an der Lesesaalausgabe kurz auf der Treppe erspähen (Blogbeitrag:Love is all around).

Aber nicht nur von Studierenden und Hochzeitspaaren wird die Staatsbibliothek zu einem anderen Zweck genutzt als zum Lernen und Forschen. In der Reportage „Hiphop in heiligen Hallen -Vom Jugendzentrum in die Nationalgalerie: ein Besuch bei Berlins Breakdance-Meistern Flying Steps„, der am 14.05.2010 im Tagesspiegel veröffentlicht wurde, schreibt Andrea Nüsse über die Tanzgruppe Flying Steps und wie ihnen ihre Show „Flying Bach“ neue Möglichkeiten eröffnet. Eine von diesen war eine Einladung in die Musikabteilung der Staatsbibliothek. Frau. Dr. Martina Rebmann (Leitung der Musikabteilung) hatte die Flying Steps nach dem Besuch einer Aufführung eingeladen, die Autografen von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ aus dem Jahr 1722 einzusehen. Der Choreograf und Mitgründer der  Flying Steps Vartan erklärt dazu, dass sie „zwar alle keine Noten lesen“ können, aber trotzdem durch die Stimmführung „die Struktur“ der Musik wiedererkennen würden.

Doch bekannte Persönlichkeiten werden nicht nur eingeladen, sich die besonderen Werke aus der Staatsbibliothek anzusehen, sondern auch um sich mit den wertvollen Stücken ablichten zu lassen. Im Rahmen der Ausstellung „Die Staatsbibliothek und Ich“, die anlässlich des 350. Jahrestages der Bibliothek im Haus Potsdamer Straße gezeigt wurde, haben sich einige bekannte (Berliner) Persönlichkeiten von der Fotografin Bettina Flitner porträtieren lassen. Besonders schön fand ich ein Bild von Günther Jauch, der sich mit Zedlers Universal-Lexikon aus dem 18. Jahrhundert fotografieren ließ. Am 19.09.2011 berichtete Amory Burchard im Artikel „Fast wie zu Hause in der „Stabi“-Die Fotografin Bettina Flitner hat Prominente mit Sammlungsstücken fotografiert – die Bilder sind in der Staatsbibliothek zu sehen.“ für den Tagesspiegel von der Ausstellung. Die Porträts können im Ausstellungskatalog unter der Signatur HB 2 Tm 87 im Lesesaal Potsdamer Straße eingesehen werden.

Trotzdem ist die Staatsbibliothek nicht nur zum Vergnügen da. „Denn eine Staatsbibliothek ist, bitte sehr! kein Vergnügungsetablissemang.“, wie Bruno Manuel bereits im Jahr 1927 feststellte. Sondern sie ist immer noch ein Sammelort des Wissens. Doch was passiert mit dem Wissen, dass sich die Leser*innen jeden Tag in der Bibliothek aneignen?

Da gibt es natürlich die typischen Promovierenden, die das angeeignete Wissen in ihre „Diss“ einbringen wollen, aber auch diverse Autor*innen nutzen die Staatsbibliothek als Wissensquelle, wie mir unter anderem in der Leihstelle berichtet wurde. Deshalb hat es mich nicht überrascht zu lesen, dass der Autor Volker Kutscher, der die „Gereon Rath“ Romane verfasste, auf denen die ARD Serie „Babylon Berlin“ basiert, schon die Staatsbibliothek zur Recherche nutzte. Laut dem Interview „Bis die Augen schmerzen – Volker Kutscher schrieb die Vorlage der Erfolgsserie „Babylon Berlin“. Jetzt hat die Künstlerin Kat Menschik die Welt seines Kommissars Gereon Rath zum Leben erweckt.“ von Lars Weisbrod, das am 04.11.2017 in der Zeit veröffentlicht wurde. nutzt Kutscher die Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek, um die Ausgaben der „Vossischen Zeitung“ für seine Romane zu durchforsten und einen realistischen Eindruck von der Stimmung der damaligen Zeit zu bekommen.

Fasziniert hat mich aber, dass man in den Lesesälen auch ganz praktische Fähigkeiten erlernen kann. Cynthia Barcomi, die 1985 aus Amerika nach Berlin gezogen ist und jetzt hier zwei erfolgreiche Cafés betreibt, hat sich zum Beispiel das Kaffee rösten in der Staatsbibliothek angelesen. Dies erzählte sie in dem Interview „Berliner sind handfest“ mit Annett Heide, das am 13.12.2012 im Rahmen der Reihe „Lassen Sie uns über Berlin reden“ in der Berliner Zeitung veröffentlicht wurde.

Außer dem Wissen gibt es noch andere Dinge, die aus der Staatsbibliothek mitgenommen werden. Die Bücher, die nach außer Haus ausgeliehen werden, begeben sich ebenso auf eine Reise aus den sicheren Katakomben in die Welt außerhalb der Bibliothek. Meistens erfahren die Bibliothekare nicht viel von der Reise, die die Bücher in der weiten Welt zurücklegen. Aber dass diese nicht immer wieder zurückkommen, war schon zu Zeiten von Bertolt Brecht und Helene Weigel bekannt. Der Beitrag „Ich küsse dich (undsoweiter)“ von Hannes Schwenger, der im November 2012 im Tagesspiegel veröffentlicht wurde, beschreibt die Beziehung zwischen den Eheleuten. Einer der von Schwenger erwähnten Ausschnitte aus dem Leben der beiden involviert Bücher aus der Staatsbibliothek und was mit ihnen auf ihrer Expedition passierte. Nach Ihrem Verschwinden im Theaterhaus der Brechts riet Helene Weigel ihrem Mann, bei einigen Dramaturgen eine „Razzia“ durchzuführen. Sie seien „alles Büchermarder“. Ob diese Razzia erfolgreich war und die Bücher noch ihren Weg zurück zur Stabi gefunden haben, wird nicht erwähnt. Bleibt nur zu hoffen, dass sie ihre Expedition in die Welt außerhalb der Magazine gut überstanden haben.

Auch diese Expedition ist hier nun zu Ende. Ich hoffe, ich konnte Ihnen einige Seiten von der Staatsbibliothek zeigen, die Sie so noch nicht kannten.

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