Digitale Lektüretipps 39: Dante-Portale im Internet
Ein Beitrag aus unserer Reihe Sie fehlen uns – wir emp-fehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps aus den Fachreferaten der SBB
Corona heißt, das wissen Sie natürlich, eigentlich Krone, Kranz. Gekrönt wurden bekanntlich nicht nur Herrscher, sondern auch Dichterfürsten – mit einem Lorbeerkranz, dem Symbol für Vollkommenheit und Unsterblichkeit. Im Italien des 14. Jahrhunderts treffen wir auf gleich drei gekrönte Dichter: Dante, Petrarca und Boccaccio, die Tre corone.
Die Staatsbibliothek besitzt die über 2000 Bände umfassende Dante-Sammlung des Jenaer Historikers Friedrich Schneider (1878-1962), die Sie hier recherchieren und ja auch bald wieder ausleihen können. Unterdessen könnten Sie sich in den digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek zum Beispiel sechs Handschriften der Göttlichen Komödie Dantes aus dem 14. Jahrhundert anschauen.
In diesem Blog-Beitrag soll es noch allgemeiner darum gehen, welche Recherchemöglichkeiten Sie zu Dante in Zeiten von Corona haben. Vor zehn Jahren schrieb ich zu drei Dante-Portalen im Internet einen Beitrag im Deutschen Dante-Jahrbuch (Jg. 2009), den ich hiermit aktualisieren möchte. Der Begriff Portal sollte verstanden sein als eine virtuelle Dante-Spezialbibliothek, die das Werk Dantes im Volltext ebenso anbietet wie günstigstenfalls Literatur über Dante, digitalisierte Illustrationen, biografische Daten, evtl. ergänzt auch um multimediale Elemente, Rezitationen oder Dante-Vertonungen. Im Idealfall sind diese Funktionalitäten miteinander verknüpft und können bequem kontextuell konsultiert werden.
dante online
Einen guten Einstieg bietet die Seite der Società Dantesca Italiana (SDI). Gleich als ersten Link finden Sie dort das seit zwanzig Jahren existierende Webportal dante online, das von der SDI wissenschaftlich betreut wurde. Eines der (leider nicht weiter verfolgten) Ziele war es, die mehr als 800 weltweit in Bibliotheken erhaltenen Commedia-Handschriften zu digitalisieren (vgl. Roddewig) und in einem Gesamtkorpus über das Internet bereitzustellen. Nach wie vor sind nur 33 Handschriften, vornehmlich aus dem Besitz italienischer und insbesondere Florentiner Bibliotheken, eingestellt. Sie sind teilweise mit Transkription sowie sämtlich mit Zoom-Funktion ausgestattet. Zum Teil wurden schwarz-weiß-Kopien verwendet; bei der Vergrößerung wird ein Wasserzeichen der SDI sichtbar. Eine separate Suche nur über die kleine Datenbank der Handschriften im Menü Cerca ermöglicht die Suche nach den Aufbewahrungsorten, ehemaligen und heutigen Signaturen, Kopisten, Jahrhunderten etc.
Zum anderen sind – mit Genehmigung der Verlage – sämtliche Werkausgaben der SDI, d.h. teilweise auch die Ausgaben der Edizione nazionale, im Volltext, allerdings ohne Apparat, über die Webseite zugänglich, für die meisten Werke auch englische Übersetzungen. Wie auch bei den Handschriften kann man sich Schritt für Schritt durch die einzelnen Seiten weiterbewegen oder Einstiegspunkte bis auf Ebene der canti oder versi wählen.
Ergänzt wird das Angebot um biografische Zugänge: einen aus mehreren Quellen kompilierten Text sowie einen Auszug aus Petrocchis biografischen Arbeiten. Beide Texte sind vielfältig verlinkt und bieten ebenso wie die Chronologie (Adobe Flashplayer erforderlich) zusätzliche Informationen über ein integriertes Glossar samt bibliografischen Hinweisen. Allerdings sind manche features nicht mehr nutzbar, da sie einen Flashplayer (Adobe Shockwave) erfordern, der nicht mehr im Angebot von Adobe ist. Dies betrifft eine multimediale Fassung der Biografie und verschiedene Audiodateien.
Trotz dieser Lücken ist dante online immer noch nützlich für einen raschen Zugriff auf das Werk mitsamt einer Volltextdurchsuchbarkeit beim Menüpunkt Cerca. Eigentlich ist über dante online auch die Dante-Bibliografie der SDI zugänglich, allerdings wurde der Link auf eine neue Version nicht aktualisiert. Da es einige interessante Änderungen gibt, widme ich der Bibliografie einen eigenen Absatz.
Nachtrag April 2021: inzwischen existiert eine Betaversion einer neu gestalteten Webseite (hier wurde noch die ältere Version beschrieben).
Bibliografia Dantesca Internazionale
Über die Webseite der SDI gelangt man zur Bibliografia Dantesca Internazionale, die sich aus zwei Quellen speist.
Der italienische Part: Zum einen sind hier die Daten der zweiteiligen umfangreichen Bibliografia dantesca, die in den Studi Danteschi (Jg. 60 bzw. 64) der SDI veröffentlicht wurden, in einer Datenbank zusammengefasst und fortgeführt. Seit 2000 ist die Bibliografie auf den Seiten der SDI online.
Zum anderen besteht mittlerweile – und damit kommen wir zum US-amerikanischen Part – eine Kooperation mit der Dante Society of America (DSA), die seit 1952 die Annual Dante Bibliography als Appendix zu ihrer Zeitschrift Dante Studies veröffentlicht hatte. Seit 2015 wird diese Bibliografie, deren primäres Augenmerk auf den Veröffentlichungen nordamerikanischer Verfasser und in Nordamerika publizierter Dantestudien liegt, ausschließlich online veröffentlicht. Die Jahresbibliografien der Dante Studies von 1952 bis 2018 sind als PDF, Word- oder HTML-Dokument jahresweise hier zu finden und spiegeln die nordamerikanische Dantistik.
Die neue vereinte Datenbank der beiden Fachgesellschaften SDI und DSA ging 2017 mit italienischer und englischer Benutzeroberfläche und einer neuen Software online. Sie enthält derzeit (Stand Mai 2020) gut 62.000 Einträge; jährlich kommen mehrere Tausend Literaturangaben hinzu. Die Datenbank verzeichnet Literatur von und über Dante in Form von Werkausgaben, Monografien, Beiträgen in Sammelbänden, Zeitschriftenaufsätzen und Rezensionen; auch z.B. Dissertationen auf Microfiche sind erfasst, ebenso Links zu parallelen Volltextdokumenten, aber keine reinen Online-Dokumente. Die Bibliografie umfasst systematisch Veröffentlichungen ab den 1970er Jahren (vereinzelt frühere Titel) und enthält mit Publikationen aus dem Jahr 2020 auch neueste Beiträge.
Über den Fragezeichen-Button gelangt man zu drei kurzen Video-Tutorials, in denen die Funktionalitäten der bibliografischen Datenbank erläutert werden. Charakteristisch ist die dreigeteilte Oberfläche: links die Suchfenster und ein aufklappbarer Baum für einen ausgefeilten systematischen Zugriff z.B. bis hin auf die Ebene von Commedia-Übersetzungen in einzelne fremdsprachige Dialekte. Die Suche wird jeweils mit einem Klick auf einen Button mit einem nach rechts zeigenden Pfeil ausgelöst, der an die Play-Taste eines CD-Players erinnert; die Enter-Taste ist nicht ausreichend. Der Button mit dem Rückgängig-Pfeil löscht übrigens die Einträge in der Suchmaske, die auch bei Sitzungsende über Cookies im Browser gespeichert werden. Im mittleren Fenster werden die Suchergebnisse in Fünfhunderterpaketen angezeigt. Im rechten Fenster erscheinen nach einem Klick auf ein Ergebnis zusätzliche Angaben, z.B. die Klassifikation und Schlagworte, außerdem Hinweise auf Rezensionen und mitunter sogar Literaturangaben aus den Fußnoten der ausgewerteten Aufsätze.
Ein Export der Treffer als Word-Dokument oder PDF in den jeweiligen bibliografischen Formaten der beiden Fachgesellschaften ist möglich (leider keine Formate der Literaturverwaltungssysteme). Bei über 500 Treffern muss schrittweise exportiert werden.
Dartmouth Dante Project und Dante Lab
Im Dartmouth Dante Project (DDP), entstanden am Dartmouth College in Hanover (New Hampshire), werden 77 italienische, lateinische und englische Commedia-Kommentare, die zwischen 1321 und 2015 erschienen sind, mit durchsuchbarem Volltext und im Open Access bereitgestellt. 19 Kommentare stammen aus dem 14. Jh., fünf aus dem 15. Jh., acht aus dem 16. Jh., zwei aus dem 18. Jh., 14 aus dem 19. Jh., 27 Kommentare aus dem 20. Jh. sowie zwei aus dem 21. Jh. (hier finden Sie die Liste der Kommentare). Das DDP wurde ab 1982 von Robert Hollander, Princeton University, mit Unterstützung der Dante Society of America und der Società Dantesca Italiana entwickelt und geleitet. 1988 ging der erste Prototyp online. Neben den Kommentaren enthält die Datenbank auch den Commedia-Text der Edizione nazionale, der für den privaten Studiengebrauch mit Erlaubnis des Herausgebers Giorgio Petrocchi zur Verfügung gestellt wird. Allerdings dient er nur zum punktuellen Einsehen der Suchbegriffe, nicht zur vollständigen Lektüre.
Das DDP ist Vorläufer und Grundlage für das seit 2013 bestehende Dante Lab, ein virtual workspace wiederum des Dartmouth College, in dem der Text der Commedia, mehrere Übersetzungen und die 77 Kommentare miteinander verknüpft sind. Wiederum stellt sich die Oberfläche in der Voreinstellung dreigeteilt dar: links die Commedia (diesmal kontinuierlich lesbar), die rechte Seite teilen sich die umschaltbaren Übersetzungen (Deutsch von Karl Streckfuß, 1854; Französisch von Alexandre Cioranescu, 1964, und Englisch von Henry Wadsworth Longfellow, 1876) einerseits und darunter die ebenfalls umschaltbaren Kommentare andererseits. Man kann die Oberfläche nach den eigenen Bedürfnissen anpassen, z.B. vier Teile arrangieren und damit vier verschiedene Kommentare aufrufen.
Da es sich bei den Kommentaren zumeist um zeilenweise Annotationen der Commedia handelt, lag es nahe, die Struktur der Datenbank so aufzubauen, dass einzelnen Versen oder Gesängen die jeweiligen Kommentare direkt zugeordnet werden. In einem Suchmenü kann man nach einzelnen Stichworten recherchieren oder über Auswahlmenüs manuell zu einzelnen canti oder versi springen. Je nach Browser und Betriebssystem scheint letzteres die zuverlässigste Zugangsart zu sein – ein weiteres Mal zeigt sich, dass es nicht unproblematisch ist, ausgefeilte Systeme für eine Vielzahl unterschiedlicher Endgeräte kompatibel zu halten.
Princeton Dante Project
Ein weiteres anspruchsvolles Portal ist das – ebenfalls von Robert Hollander initiierte – Princeton Dante Project (PDP). Es wurde seit Mitte der 90er Jahre entwickelt, brachte 1996 einen Prototyp auf CDROM hervor und wurde schließlich 1999 im Netz zugänglich gemacht. Prof. Hollander ist seit 2003 emeritiert; die letzte Änderung scheint 2000 erfolgt zu sein, dennoch ist es noch gut nutzbar.
Das Projekt bereichert die konventionellen philologischen Herangehensweisen um multimediale Elemente und nutzt die hypertextuellen Möglichkeiten in überzeugender Weise, auch wenn der Datenbank ihr Alter mittlerweile anzusehen ist. Ziel des PDP ist, einen annotierten elektronischen Text der Commedia für Lehr- und Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen, bei dem sowohl das italienische Original (wiederum die Petrocchi-Ausgabe der Edizione nazionale) als auch englische Übersetzungen (von Jean and Robert Hollander) samt Rezitation, aber auch Commedia-Illustrationen und -Kommentare sowie weitere historische, philologische, visuelle und interpretierende Annotationen miteinander verlinkt sind. Ein etwa zehnminütiges Tutorial (in englischer Sprache) vermittelt einen guten ersten Eindruck.
Die Minor works (Opere minori) werden in übersichtlicher Form präsentiert: in der Mitte der Bildschirmseite findet sich der italienische oder lateinische Originaltext der maßgeblichen Ausgabe, rechts direkt daneben die englische Übersetzung. Die aufeinander abgestimmte Typografie der beiden Texte ermöglicht ein zeitgleiches komparatives Konsultieren des Originals und der Übersetzung. In einer Spalte am linken Bildschirmrand gestatten Sprungmarken den Zugriff über die Textstruktur (z.B. auf einzelne Verse oder Absätze). Die Minor Works können außerdem durch eine Suchmaske Wort für Wort durchsucht werden; ein Index sämtlicher von Dante verwendeter Worte ist alphabetisch durchblätterbar, wobei die mitgelieferten Zahlen der Worthäufigkeit Rückschlüsse auf den Sprachgebrauch des Dichters zulassen.
Bezüglich der Commedia bietet das PDP ein breit gefächertes Portfolio an Zusatzinformationen: Wiederum ist der italienische Text in der Mitte und die englische Übersetzung rechts angeordnet. Auf der linken Seite des Bildschirmes sind sechs schmale Spalten erkennbar, die auf Mausklick zeilen- bzw. cantogenaue Annotationen liefern, wobei der genaue Zeilenbezug markiert ist. Die erste Spalte führt zu philologischen Hinweisen Robert Hollanders (nur für die ersten sechs Gesänge des Inferno verfügbar), die zweite zu seinen Commedia-Kommentaren, die sich in einem gesonderten Fenster öffnen. Die dritte Spalte bietet die Verknüpfung zum Dante-Wörterbuch von Paget Toynbee. Wurden bei Toynbee in der Druckversion Verweisungen auf andere Textstellen gegeben, so sind diese in der hier präsentierten elektronischen Abschrift wiederum mit der Textstelle im PDP verlinkt, d.h. direkt aufrufbar. Mit einem Klick auf die einem Vers zugeordnete Raute in der vierten Spalte springt man direkt in das Dartmouth Dante Project; automatisch werden die im DDP zugänglichen Commedia-Kommentare für den entsprechenden Vers aus der Datenbank herausgefiltert und chronologisch aufgelistet. Die fünfte Spalte eröffnet die Möglichkeit, eine Rezitation des italienischen Originals zu vernehmen. Vorgetragen wird auf Wunsch die Terzine, die Bildschirmseite (fünf Terzinen) oder der gesamte canto. Die sechste Spalte schließlich verweist auf die Commedia-Illustrationen von Gustave Doré und Amos Nattini, die auch vergrößert dargestellt werden können.
In einer orangefarbenen Menüzeile über dem Commedia-Text werden neben den Navigationsschaltern zum seitenweisen Vor- oder Zurückblättern auch eine stichwortartige englische Zusammenfassung jedes canto geboten, ein Link zum Table of contents, d.h. zur Struktur der Commedia, sowie ein Zugang zu mehreren Suchmasken. Die Navigation im PDP ist durchdacht; es gibt oft mehrere Zugänge zu einer Funktionalität, was zunächst verwirren mag, sich aber als großer Vorteil bei der praktischen Arbeit herausstellt. Ergänzend enthält das PDP biografische Informationen, kartografisches Material, Stammbäume von Herrschern und Adelsfamilien, Vorlesungen Robert Hollanders usw.
Bei diesen Portalen wurde und wird Pionierarbeit für die Digital Humanities geleistet. Es bleibt zu hoffen, dass jene etwas in die Jahre gekommenen Initiativen weitergeführt und, wo nötig, auf neue, langlebige IT-Beine gestellt werden können.
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