Johannes Trithemius: De scriptoribus ecclesiasticis. Basel: [Johann Amerbach, nach 28. August 1494]. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 4° Inc 462c, Bl. 2a (Anfang des Autorenregisters)

Digitale Lektüretipps 24: Trithemius wäre begeistert – 30 Beiträge zur Inkunabelforschung im Open Access

Ein Beitrag aus unserer Reihe Sie fehlen uns – wir emp-fehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps aus den Fachreferaten der SBB

Ein Beitrag von Falk Eisermann

Im Jahr 1494 erschien in Basel ein 148 Blatt starker Folioband mit dem Titel „De scriptoribus ecclesiasticis“. Dieses Werk des vielseitigen Benediktiners Johannes Trithemius (1462–1516) gilt als die erste gedruckte Literaturgeschichte überhaupt und verhalf dem Autor zum ehrenden Beinamen „Vater der Bibliographie“. Der fast 1000 Einträge umfassende Katalog kirchlicher Schriftsteller aller Zeiten und Völker ist zu den Bestsellern des ausgehenden Mittelalters zu zählen: etwa 240 Exemplare der Inkunabel sind bis heute erhalten (GW M47578).

Der Autor, seit 1483 Abt des Klosters Sponheim bei Bad Kreuznach, war bekennender Bibliomane und scheute keine Kosten und Mühen, um an Bücher zu gelangen: In den 22 Jahren seines Abbatiats wuchs die Bibliothek des Konvents dank seiner Initiative von ein paar Dutzend auf rund 2000 Bände an. Da er indes die Mittel für solch rasanten Bestandsaufbau zumeist der Klosterkasse entnahm, geriet der Konvent in finanzielle Probleme. Infolgedessen wurde Trithemius 1505 von seinen Aufgaben entbunden, mußte Sponheim und die von ihm aufgebaute Bibliothek verlassen und fand sich im Würzburger Schottenkloster wieder, wo das bibliothekarische Angebot zu seinem anhaltenden Verdruss alles andere als zufriedenstellend war.

Trithemius war ein Kenner und enthusiastischer Nutzer des Buchdrucks, was ihn nicht daran hinderte, das neue Medium in seiner wohl bekanntesten Schrift „De laude scriptorum“ heftig zu kritisieren – allerdings vor allem mit Blick auf die Novizen seines Ordens, die seiner Ansicht nach zuviel „daddelten“, nämlich gedruckte Bücher bedenklichen Inhalts lasen, anstatt sich der traditionellen Aufgabe des händischen Abschreibens heiliger Texte zu unterziehen. Aber auch „De laude scriptorum“ erschien nur in gedruckter Form, denn das Werk sollte so schnell wie möglich seine benediktinische Zielgruppe erreichen (GW M47538).

Lebte er in unserer Gegenwart, so hätte Trithemius das Internet wahrscheinlich ebenso scharf verurteilt wie seinerzeit den Buchdruck (womöglich in einem Blogbeitrag?). Doch wäre ihm als Betroffenem kaum entgangen, welch besonderen Nutzen es gerade in Zeiten schwieriger Literaturversorgung entfalten kann.

Verweis auf OA-Publikation

Die wichtigste aktuelle Publikation zur internationalen Inkunabelforschung (siehe untenstehende Link-Liste Nr. 4, Bolton) enthält auf annähernd 1000 Seiten insgesamt 34 Open-Access-Beiträge (Cover verlinkt).

Auch in der Wiegendruckforschung ist erfreulicherweise ein steter Zuwachs von Online-Publikationen festzustellen. Um die digital und kostenfrei zugänglichen Veröffentlichungen zum Thema (die teils an entlegener Stelle erscheinen) so vollständig wie möglich zu erfassen, verzeichnet das Inkunabelreferat der Staatsbibliothek sie in einer eigenen, derzeit noch intern geführten Titelliste, deren Veröffentlichung künftig an geeigneter Stelle geplant ist.

Da wir uns allesamt momentan in einer Phase schwieriger Literaturversorgung befinden, sei heute – auf den Spuren des Trithemius, wenn auch in viel bescheidenerem Rahmen – eine Auswahl von 30 digitalen Forschungsbeiträgen zum frühesten Buchdruck aus den Jahren 2016 bis 2020 vorgelegt. Es handelt sich um deutsch- oder englischsprachige  Arbeiten, die zumeist Drucke des deutschen oder niederländischen Sprachraums sowie allgemeine druckgeschichtliche Fragestellungen behandeln. Weitere Verzeichnisse mit Titeln u.a. aus italienischen und spanischen Forschungszusammenhängen sollen folgen. Die Liste ist auch als Hilfe für die universitäre Lehre gedacht, die sich am Beginn des neuen Semesters allerorten mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sieht, insbesondere bei der Erarbeitung digitaler Unterrichtsmethoden und der Bereitstellung digitaler Literatur. Die Titelaufnahmen sind aus Platzgründen einfach gehalten und wurden, wo nötig, behutsam gekürzt.

___________________

1) AUGSBURG MACHT DRUCK. Die Anfänge des Buchdrucks in einer Metropole des 15. Jahrhunderts. Hrsg. Günter Hägele u. Melanie Thierbach. Augsburg 2017. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:384-opus4-406765

2) Bertelsmeier-Kierst, Christa: Durchbruch zur Prosa und der Einfluss des Buchdrucks auf die deutschsprachige Erzählliteratur des 15. Jahrhunderts. In: Early Printed Narrative Literature in Western Europe. Hrsg. Bart Besamusca u.a. Berlin/Boston 2019, S. 17–48. https://doi.org/10.1515/9783110563016-002

3) Besamusca, Bart/Willaert, Frank: Continuities and Discontinuities in the Production and Reception of Middle Dutch Narrative Literature. In: Early Printed Narrative Literature (wie Nr. 2), S. 49–92. https://doi.org/10.1515/9783110563016-003

4) Bolton, Claire: The Memmingen Book Network. In: Printing R-Evolution and Society, 1450–1500. Fifty Years that Changed Europe. Hrsg. Cristina Dondi. Venedig 2020 (Studi di storia 13), S. 701–726. http://doi.org/10.30687/978-88-6969-332-8/025

5) Bruijn, Elisabeth de: The Southern Appeal: Dutch Translations of French Romances (c. 1484–c. 1540) in a Western European Perspective. In: Early Printed Narrative Literature (wie Nr. 2), S. 93–124. https://doi.org/10.1515/9783110563016-004

6) Dlabačová, Anna: Printed Pages, Perfect Souls? Ideals and Instructions for the Devout Home in the First Books Printed in Dutch. In: Religions 11 (2020). https://doi.org/10.3390/rel11010045

7) Dlabačová, Anna: Religious Practice and Experimental Book Production: Text and Image in an Alternative Layman’s „Book of Hours“ in Print and Manuscript. In: Journal of Historians of Netherlandish Art 9:2 (Sommer 2017). https://jhna.org/articles/religious-practice-experimental-book-production-text-image-alternative-laymans-book-of-hours/

8) Dröse, Albrecht: Ein newes Gedicht, das von Marie Psalter spricht. Sixt Buchsbaums Rosenkranzgedicht im Herzog-Ernst-Ton. In: Maria in Hymnus und Sequenz. Hrsg. Eva Rothenberger u. Lydia Wegener. Berlin/New York 2017 (Liturgie und Volkssprache 1), S. 345–371. https://doi.org/10.1515/9783110475371

9) Eisermann, Falk: The Gutenberg Galaxy’s Dark Matter: Lost Incunabula, and Ways to Retrieve Them. In: Lost Books. Reconstructing the Print World of Pre-Industrial Europe. Hrsg. Flavia Bruni u. Andrew Pettegree. Leiden/Boston 2016 (Library of the Written Word 46), S. 31–54. https://doi.org/10.1163/9789004311824_003

10) Gilbert, Bennett: To Copy, To Impress, To Distribute. The Start of European Printing. In: On_Culture 8 (2019). https://www.on-culture.org/journal/issue-8/copy-impress-distribute/

11) Green, Jonathan/McIntyre, Frank: Lost Incunable Editions: Closing in on an Estimate. In: Lost Books (wie Nr. 9), S. 55–72. https://doi.org/10.1163/9789004311824_004

12) Haffner, Thomas: Konrad Haebler und die Entwicklung vom lokalen zum internationalen Inkunabelkatalog. In: Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung. Hrsg. Achim Bonte u. Juliane Rehnolt. Berlin/Boston 2018, S. 338–354. https://doi.org/10.1515/9783110587524-036

13) Hallebeek, Jan: The Gloss to the Saunteen Kesta (Seventeen Statutes) of the Frisian Land Law. In: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 87 (2019), S. 30–64. https://doi.org/10.1163/15718190-08712P02

Akte der Berliner Königlichen Bibliothek zum Dublettenverkauf, 1861–1923 (aus Beitrag Hanisch, Link-Liste Nr. 14)

14) Hanisch, Evelyn: Der Umgang mit Inkunabeldubletten. Kauf, Verkauf und Tausch von Wiegendrucken der Königlichen Bibliothek/Preußischen Staatsbibliothek (1904–1945). Berlin 2019. (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft. 442.). https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/21231

15) Hermann, Anna: Worttrennung in Handschrift und Druck. Reflexe des medialen Umbruchs in der deutschen Orthographiegeschichte. Diss. Rostock 2017. http://purl.uni-rostock.de/rosdok/id00001913

16) Herrmann, Christian: Wertvollste Drucke. Der Katalog der Stuttgarter Inkunabeln. In: WLBforum. Mitteilungen der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2018/2, S. 20–26. http://www.wlb-stuttgart.de/fileadmin/user_upload/die_wlb/WLB-Forum/WLBforum_2018_2_WEB.pdf

17) Hofmann-Randall, Christina: Verborgene Schätze ans Tageslicht geholt. Katalogisierung des Erlanger Inkunabelbestands abgeschlossen. In: Bibliotheksforum Bayern 13 (2019), S. 105–107. https://www.bibliotheksforum-bayern.de/fileadmin/archiv/2019-2/BFB-2-19_008_Verborgene_Schaetze_ans_Tageslicht_geholt.pdf

18) Horst, Harald: Wissensraum am Niederrhein. Rekonstruktion der Bibliothek des Kreuzherrenklosters Hohenbusch in kulturhistorischer Perspektive. Diss. HU Berlin 2017. https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/18413

19) Hostnik, Ivana: Das Text- und Bildverhältnis im Ackermann aus Böhmen. Diss. Porto 2016. http://hdl.handle.net/10216/85079

20) Kaufmann, Thomas: Umbrüche im 15. und 16. Jahrhundert: Buchdruck und Reformation. In: Umbrüche. Auslöser für Evolution und Fortschritt. Hrsg. Thomas Kaufmann u.a. Göttingen 2017, S. 25–39. https://doi.org/10.17875/gup2017-1054

21) Kemmether, Gotthard: Handschriftliche Nachträge in mittelalterlichen liturgischen Büchern. Zeugnisse für liturgische Praxis in Frankfurt (Oder) vor und nach der Reformation. In: Handschriften als Quellen der Sprach- und Kulturwissenschaft. Hrsg. Annette Kremer u. Vincent Schwab. Bamberg 2018. (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien 13), S. 224–242. https://doi.org/10.20378/irbo-51767

22) Klaes, Falko: Die Werke der Bamberger Offizin Pfister zwischen Handschrift und Druck. In: Die Stadt des Mittelalters an der Schwelle zur Frühen Neuzeit. Hrsg. Inge Hülpes u. Falko Klaes. o. O.  2018. (Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte Beihefte 1), S. 17–41. https://mittelalter.hypotheses.org/12596

23) „Künslichtes Schreiben“. Gutenbergs Erfindung und die frühesten gedruckten Bücher. Wiegendrucke aus der Bibliotheca Amploniana. Ausstellungskatalog UB Erfurt, 24.5.–5.7.2018. Erfurt 2018. https://www.db-thueringen.de/receive/dbt_mods_00034677

24) Rautenberg, Ursula: Eine Inkunabel, die Johannes Sambucus besessen hat: Der „Herbarius latinus“ (Mainz: Peter Schöffer, 1484) im Besitz der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg. In: MONOKgraphia. Hrsg. Judit Nyerges u.a. Budapest 2016, S. 586–592. http://acta.bibl.u-szeged.hu/36743/1/monok60_087.pdf

25) Reul, Christian/Dittrich, Marco/Gruner, Martin: Case Study of a highly automated Layout Analysis and OCR of an incunabulum: “Der Heiligen Leben” (1488). In: ArXiv e-prints (20. Januar 2017). https://arxiv.org/abs/1701.07395

26) Richental, Ulrich: Die Chronik des Konzils von Konstanz. Hrsg. Thomas Martin Buck. Digitale Edition. München 2019. https://edition.mgh.de/001/

27) Schaeps, Jef: Old-Fashioned in Order to be Modern: „Seghelijn van Iherusalem“ and its Woodcuts. In: Early Printed Narrative Literature (wie Nr. 2), S. 297–324. https://doi.org/10.1515/9783110563016-011

28) Schlusemann, Rita: Printed Popular Narratives until 1600. Authorship and Adaptation in the Dutch and English „Griseldis“. In: Journal of Dutch Literature 10 (2019), S. 1−23. https://www.journalofdutchliterature.org/index.php/jdl/article/view/181

29) Zäh, Helmut: Irsee – Die Bibliothek eines ostschwäbischen Benediktinerklosters und ihre Erforschung. In: Irseer Blätter zur Geschichte von Markt und Kloster Irsee 1 (2019), S. 4–29. https://www.kloster-irsee.de/fileadmin/redaktion/irsee/pdf/irseer-blaetter-heft1.pdf

30) Zeisberger, Ingold: Der Erfinder des Buchdrucks: Johannes Gutenberg. Eine Lebensskizze. In: Perspektive Bibliothek 7 (2018), S. 115–136. https://doi.org/10.11588/pb.2018.1.48397

1 Antwort
  1. Avatar
    Klaus Graf sagte:

    Meine Stellungnahme zu diesem Beitrag https://archivalia.hypotheses.org/122863

    „Wir wollen nicht undankbar sein, aber dass es keine OA-Fassung des VE 15 gibt, ist immer noch unschön.

    Und dass Herrmanns überflüssige Anzeige des Stuttgarter Inkunabelkatalogs angeführt wird, aber nicht die erheblich erweiterte Fassung meiner Besprechung (im Pirckheimer-Jahrbuch) in Archivalia, zeigt, wie wenig Falk Eisermann Blogs als Publikationsform anzuerkennen bereit ist.“

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