Digitale Lektüretipps 40: Eine Hommage an den Brief

Ein Beitrag aus unserer Reihe Sie fehlen uns – wir emp-fehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps aus den Fachreferaten der SBB

Seit dieser Woche ist die Staatsbibliothek immerhin ein Stück weit geöffnet, denn es können endlich wieder Bücher bestellt und für die Außer-Haus-Ausleihe abgeholt werden. Diesen Schritt nehmen wir zum Anlass, unsere Reihe der digitalen Lektüretipps in etwas gelockertem Rhythmus fortzuführen – ab sofort versorgen wir Sie zwei bis drei Mal pro Woche mit unseren Lektüreempfehlungen – und das noch so lange wie die Lesesäle geschlossen bleiben müssen.

von Johanna R. Rech, Handschriftenabteilung

„Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte“, schreibt ein berühmter Literat des 20. Jahrhunderts in einem Brief. Ein wunderbarer Satz, den zu hören wir wohl alle, in Zeiten des Mangels an persönlichem Kontakt, dankbar wären.

Der Brief, welcher seine Bezeichnung aus dem Lateinischen erhalten hat [brevis libellus = kurzes Schriftstück], ist in vielen Fällen gar nicht so kurz, wie es diese Etymologie vermuten lässt. Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich die unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen des Briefes heraus: der private Brief, der Familienbrief, nicht zu verwechseln mit dem „familären Brief“, welcher im Humanismus als Träger des wissenschaftlichen Gedankenaustausches gilt, der Liebesbrief, der literarische Brief, der Geschäftsbrief u.v.m.

Brief von Max Liebermann an Gerhart Hauptmann (1932), SBB-PK, GH Br NL A: Liebermann, Max, 1, 24

Da der Informationsaustausch über das Medium „Brief“ (heute auch in gewandelter Form E-Mails) eines der Wesensmerkmale abendländischer Wissenschaft war und ist, sind Briefe zentrale Quellen für die Biographien und die wissenschaftliche Beschäftigung der Verfasser und Verfasserinnen bzw. Adressaten und Adressatinnen. Somit bilden Briefe als einzelne Autographe oder Teile von Nachlässen eine der eminenten Bestandsgruppen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin.

Bei Briefen in „Autographen“-Sammlungen geht es meist um handschriftliche Dokumente, wie der Name aus dem Griechischen [αὐτόγραφος] bereits intendiert; Attribut des Autographs ist folglich, dass er eigenhändig geschrieben oder ein handschriftlich ergänztes Schriftstück ist. Besondere Bedeutung fällt den Briefwechseln in unseren Beständen zu, da sie als Serie oder Sammlung von Briefen, die zwei Personen [über ein bestimmtes Thema] ausgetauscht haben, in ihrer Gesamtheit oft ein besonders intensives Bild einer Beziehung widerspiegeln. So lassen sich Rückschlüsse über Handeln, Denken und Betätigungen der Verfasserinnen und Verfasser treffen.

Teile unserer Bestände sind über „Kalliope“ ortsunabhängig zu recherchieren. Diese Datenbank entspricht, als Verbundkatalog vieler Bibliotheken bzw. Archive, dem nationalen Nachweisinstrument für Nachlässe, Autographen und Verlagsarchive. Dort können Sie sowohl nach einzelnen Beständen suchen als auch nach bestimmten Korrespondenzpartnern. Alle Trefferlisten sind durch Filter (Facetten) systematisch einschränkbar. Ebenso haben Sie die Möglichkeit, aus den Personendatensätzen weitere biographische Informationen zu entnehmen. Im Kalliope-Verbund finden Sie weiterführende Recherchehinweise.

Ein besonders schönes Brief-Beispiel unserer Bestände befindet sich im Nachlass Gerhart Hauptmanns. Es handelt sich dabei um einen handschriftlichen Brief mit Zeichnung, in welchem Max Liebermann Gerhart Hauptmann sowohl zu seinem 70. Geburtstag als auch zur Aufführung seines Werkes „Vor Sonnenuntergang“ gratuliert.

Brief aus dem Nachlass von Karl Hartwig Gregor von Meusebach (Markus Hüpfinsholz)

Als weitere Inspiration dient vielleicht ein eher kurioses Beispiel unserer Sammlungen: Ein Brief aus dem Nachlass von Karl Hartwig Gregor von Meusebach, welcher neben dieser Gestaltung auch oft Zeitungsschnipsel in seine Briefe montiert hat. Als Literat verwendete er u.a. das Pseudonym Markus Hüpfinsholz.
Seine Bibliothek wurde 1849 von der preußischen Regierung angekauft und ist nun Teil der Staatsbibliothek zu Berlin.

Warum noch nicht alles im Netz ist? Es ist die Menge unserer Bestände; aber auch rechtliche Aspekte, wie Datenschutz und postmortales Persönlichkeitsrecht spielen bei Briefen eine große Rolle. So gibt es verschiedene Fristen bzw. Vorgaben, unter denen es nicht möglich ist, Briefe zur Einsicht freizugeben oder sogar zu erschließen. Neben unserer Aufgabe, Bestände für die Forschung verfügbar zu machen, haben wir auch die Sorgfaltspflicht gegenüber den Rechteinhabern; nur durch Vertrauen in uns werden so viele Nachlassbestände an uns übergeben.

Briefe sind Mittel der Nähe in Zeiten, in denen man den Besuch der Liebsten wünscht, also schreiben Sie doch auch selbst wieder einen Brief! Es lohnt sich, für Sender und Empfänger … So beschreibt auch Stefan Zweig in seinem autobiographischen Werk „Die Welt von Gestern“, was der Erhalt nur eines Briefes für jemanden in einer schwierigen Situation bedeuten kann: „Dieser Brief war einer der großen Glücksmomente in meinem Leben: wie eine weiße Taube kam er aus der Arche der brüllenden, stampfenden, tobenden Tierheit. Ich fühlte mich nicht mehr allein, sondern endlich wieder gleicher Gesinnung verbunden“.

Lektüretipps

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Friedrich Hölderlin: Hyperion
Rainer Maria Rilke: Briefe an einen jungen Dichter

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