Jamais 2D sans 3D – das SBB Lab stößt in neue Dimensionen vor
Ein gemeinsamer Beitrag von
Nicole Eichenberger und Christian Mathieu
Im Zuge des Material Turn der Geistes- und Kulturwissenschaften rücken Sammlungsobjekte aus Archiven, Bibliotheken und Museen immer stärker in ihrer Dinghaftigkeit ins Zentrum des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses – ein Impuls, der naturgemäß auch das Feld der 3D-Digitalisierung gehörig dynamisiert. Für diese Entwicklung steht im nationalen Kontext besonders prominent die im Herbst 2020 vollzogene Öffnung des Förderprogramms Digitalisierung und Erschließung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für nichttextuelle Objektgattungen in Verbindung mit der medientypologischen Erweiterung des DFG-Viewers zur Präsentation der im jeweiligen Projektkontext entstehenden 3D-Modelle.
Auch die Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) ist seit einiger Zeit bestrebt, Erfahrung in der dreidimensionalen digitalen Replikation ihrer Bestände zu sammeln – begünstigt durch eine ausgesprochen glückliche Konstellation: Denn mit dem 2015 aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien eingerichteten Zentrum für Digitale Kulturelle Materialitäten (ZEDIKUM) steht ihr innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) eine Core Facility zur Verfügung. Diese soll alle Einrichtungen des spartenübergreifenden Verbunds nicht nur mit Beratungsangeboten, sondern auch mit hardware- wie softwareseitigen Infrastrukturservices bei der Digitalisierung und Visualisierung von Artefakten des kulturellen Erbes für wissenschaftliche bzw. museale Nutzungsszenarien unterstützen. Für beide Aufgabenkomplexe werden im ZEDIKUM einerseits ein hochauflösender Streifenlichtscanner der jüngsten Generation, Fotogrammmetrie-Software, Endoskop- und Vollformatkameras eingesetzt sowie andererseits die im 3D-Bereich gängigsten Animationswerkzeuge wie Blender, Unity, Autodesk 3ds Max und Unreal Engine.
Neben der 3D-Digitalisierung ihrer ’statischen‘ Sammlungsobjekte – allen voran der aktuell im Humboldt-Forum ausgestellten Typographia Sinica, eines barocken Hilfsmittels zur Erlernung der chinesischen Sprache – hat sich die SBB auch die wissenschaftsadäquate, d.h. vor allem zitierfähige Online-Zugänglichmachung der kinetischen Artefakte in ihren Beständen zum Ziel gesetzt. Zu diesem Zweck wurde 2018 im Rahmen des eHeritage-Programms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Verbindung mit ZEDIKUM ein Konzept zur Digitalisierung und interaktiven Visualisierung von Bewegungsbüchern – diese unterscheiden sich vom Standardkodex durch ihre flexiblen Zieh- und Drehelemente – entwickelt. In Kooperation mit NFDI4Culture – SBB und SPK sind in diesem nationalen Projektkonsortium an der Ausgestaltung des Bereichs der 3D-Digitalisierung beteiligt – wurde das darin empfohlene Vorgehen jüngst nochmals auf seine Praxistauglichkeit sowie im Dialog mit Forschenden verschiedener Fächer auf seine wissenschaftliche Anschlussfähigkeit überprüft.
Um das mindestens von mittelalterlichen Volvellen bis zu zeitgenössischen Pop-up-Comics reichende (also uferlose) Sammlungsfeld kinetischer Buchobjekte auf einem überschaubaren Segment mit Kamera und Scanner im Gepäck zu betreten, wird in Kürze ein Antrag im eingangs erwähnten Förderprogramm der DFG eingereicht – mit der Absicht, ein für die historische Entwicklung dieser Mediengattung repräsentatives Referenzkorpus von 100 Spielbilderbüchern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Open Access verfügbar zu machen. (Einen analogen Eindruck von der schieren Formvielfalt dieser Auswahl können Sie sich übrigens ab April in der im Stabi Kulturwerk gezeigten Ausstellung Play it again verschaffen, mit der die mediengenetischen Traditionslinien zwischen historischem Spielbilderbuch und Video Game aufgedeckt werden sollen.)
Um eine frei zugängliche Plattform zur Präsentation der in den skizzierten Kontexten entstehenden digitalen Inhalte zu schaffen und solchen partizipativen Experimentier- bzw. Vermittlungsformaten wie dem NFDI-3D-Hackathon Creating New Dimensions einen Raum zu geben, hat sich unser SBB Lab für Daten aus der dritten Dimension geöffnet. Konkret wird dazu der an der Universität zu Köln entwickelte quelloffene 3D-Viewer kompakkt eingesetzt, der es zudem ermöglicht, die bereitgestellten digitalen Objekte zu annotieren – also an ihnen zu laborieren.
Damit ist eine weitere Zielsetzung unseres SBB Labs angesprochen: Denn diese Plattform soll nicht nur Daten unterschiedlichster Formate präsentieren und zugänglich machen, sondern darüber hinaus auch die Interaktion mit ihnen – auf wissenschaftlicher ebenso wie auf kreativ-innovativer Ebene – ermöglichen und befördern. Wir freuen uns über jede produktive Nachnutzung unserer Daten – nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, wenn Sie mit unseren Beständen arbeiten und Ihre Ergebnisse wiederum im SBB Lab sehen möchten. Also Schutzbrille auf, Kittel an und los!
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