Für Laien und Experten: Bildschätze des 16. Jahrhunderts
In unserem dritten Beitrag zum Abschluss des Projektes VD16 digital stehen die Wissenschaften und neue Illustrationsformen im Mittelpunkt – zum Beispiel Arznei- und Pflanzenbücher, Tierbücher und anatomische Werke, in denen Sie jetzt virtuell blättern können!
Ein Beitrag von Evelyn Hanisch und Friederike Willasch.
Fachbereiche wie Astronomie, Alchemie, Mathematik und Geschichte eroberten den Buchmarkt – vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Wissen wurde in Arznei- und Pflanzenbüchern, Pestbüchern oder Tierbüchern vermittelt. Manche Werke richteten sich an den Experten, manche explizit an den Laien. Fachliteratur bestand neben volkssprachiger Gebrauchsliteratur, darunter Anleitungen aller Art, Nachschlagewerke oder Lehrbücher. Die Gattung der Fachprosa und die Ausstattung wissenschaftlicher Werke entwickelten sich dabei mit dem Buchdruck entscheidend weiter, zum Beispiel bei den Illustrationstechniken.
Ausführliche Beschreibung und Darstellung
Pflanzen-, Arznei- oder Kräuterbücher gehörten zu den frühesten lexikographischen und enzyklopädischen Werken im Bereich der Medizin und existierten bereits im Mittelalter. Doch die Abbildungen in den frühen Werken – sofern denn vorhanden – hatten häufig illustrativen Charakter und setzten meistens Kenntnisse über das Erscheinungsbild einer Pflanze aus praktischer Erfahrung voraus. Im 16. Jahrhundert nahmen nun Werke zu, die sich um ausführlichere und detailgetreue Pflanzenbeschreibungen und Abbildungen bemühten, um auch dem Laien als Leitfaden zu dienen. Pflanzen sollten eindeutig identifizierbar sein, auch wenn der Leser oder die Leserin das Objekt nie selbst zu Gesicht bekommen hatte.
Zu aller welt trost und gemeinem nutze
Fachprosa richtete sich in der Frühen Neuzeit nicht nur an Gelehrte. Auch Laien hatten durch diese Werke Zugang zu Wissen, konnten mithilfe eines Buches ihre Hausapotheke bestücken, einen Kräutergarten anlegen oder sich medizinischen Rat einholen. Diese Zielrichtung äußert sich – wie zum Beispiel im „Gart der Gesundheit“ – häufig schon im Vorwort. Der Autor möchte „nit erlichers, nit nützers wercks od[er] arbeit thun […], dan[n] eyn buch zusamen bringen, darinne vil kreüter und ander creaturen krafft und natur mit iren farben un[d] gestalten würden begriffen, zu aller welt trost und gemeinem nutze“.
Das deutschsprachige Kräuterbuch
Das spätmittelalterliche Werk der „Gart der Gesundheit“ von Johannes de Cuba aus dem Jahr 1485 war eines der ersten gedruckten Kräuterbücher in deutscher Sprache. Es handelte sich um ein großes Publikationsprojekt mit zahlreichen Illustrationen. Dabei standen nicht nur pflanzliche Arzneien im Mittelpunkt, sondern auch Heilmittel tierischer und mineralischer Herkunft. Die Wirkmacht dieses Arzneibuches wird deutlich mit Blick auf die nachgedruckten, bearbeiteten, erweiterten, übersetzten Ausgaben. An die 60 Ausgaben bis ins 18. Jahrhundert belegen das Interesse der Zeitgenossen an dem Werk. Zwei in Straßburg gedruckte Ausgaben von 1509 und 1515 wurden im Rahmen des Projektes digitalisiert.
Konrad Gessners Tierbuch
Wissenschaftliche Bestseller waren außerdem Tierbücher. Konrad Gessner – Arzt, Zoologe, Botaniker, Philologe und Theologe zugleich – veröffentlichte zahlreiche naturhistorische Arbeiten, doch vor allem seine „Historia animalium“ war eines der herausragenden wissenschaftlichen Werke der Zeit. Gessner arbeitete dabei mit dem Züricher Buchdrucker Christoph Froschauer zusammen. Zu dem fünfbändigen Werk Gessners gehört ein „Bildband“, die „Icones animalium“, der im Rahmen des Projektes digitalisiert wurde. Die Abbildungen stammten zum Teil von Gessner selbst oder von beauftragten Künstlern. Einen Teil der Exemplare ließ Froschauer schließlich sogar kolorieren, was besonders vermögende Kunden anzog.
Neue Illustrationstechniken
Für Gessner hatte eine wissenschaftliche Dokumentation der Tierarten und somit das Herausstellen identifizierender Details Vorrang, sodass er großen Wert auf eine annähernd naturgetreue Darstellung der Tiere legte. War das Herstellen von Holzschnitten für den Abdruck von Bildern im 15. Jahrhundert noch eine vorrangig handwerkliche Tätigkeit, arbeiteten Buchdrucker im 16. Jahrhundert verstärkt mit Künstlern zusammen. Großen Einfluss auf Buchillustrationen übten Albrecht Dürer und seine theoretischen Darlegungen zur perspektivischen Darstellung aus. Die Bilder erhielten zunehmend Tiefe, zum Beispiel durch Schraffurtechniken, was sich auch im direkten Vergleich mit früheren Holzschnitten sehen lässt.
Vesalius‘ Durchbruch in der Anatomie
Ebenso wie Kräuter- und Tierbücher profitierte das Wissensgebiet der Anatomie im 16. Jahrhundert von den neuen technischen und künstlerischen Fertigkeiten bei Buchillustrationen. Gleichzeitig ist an der Verbreitung von Fachliteratur auch deren Bedeutung im 16. Jahrhundert abzulesen. Das lässt sich zum Beispiel an der „Anatomia deudsch“ nachvollziehen. Es handelt sich um einen von dem Wundarzt Jakob Baumann im Jahr 1551 in Nürnberg herausgegebenen Auszug eines der wohl berühmtesten Werke in der Geschichte der Anatomie.
Die lateinische Vorlage
Die „Anatomia deudsch“ basiert auf dem Werk „De humani corporis fabrica libri septem“ des in Brüssel geborenen Anatoms und Chirurgs Andreas Vesalius, später Leibarzt von Kaiser Karl V. und König Philipp II. von Spanien. Vesalius behandelte in seinem Werk den Aufbau des Körpers und wird als Begründer der neuzeitlichen Anatomie gesehen. Er war einer der Ersten, die öffentlich in sogenannten anatomischen Theatern sezierten. Die erste Leichenöffnung nahm er 1537 in Löwen vor, es folgte ein Ruf an die Universität in Padua. Seine Erkenntnisse verarbeitete Vesalius in der im Jahr 1543 erschienenen ersten lateinischen Ausgabe seines Werkes.
Holzschnitt und Kupferstich
Schon Vesalius legte besonderen Wert auf die Ausstattung seines Werkes. Etwa 200 teilweise ganzseitige Illustrationen des menschlichen Körpers zeugen von großer anatomischer Exaktheit und künstlerischer Qualität. In der „Anatomia Deudsch“ wurde nun nicht auf Vesalius‘ originale Holzschnitte zurückgegriffen, die der Tizian-Schüler Jan Stephan von Kalkar angefertigt hatte. Die Ausgabe des Nürnberger Wundarztes Baumann basierte auf den vierzig – im 16. Jahrhundert im Buchdruck noch seltenen – Kupferstichen des englischen Druckers und Stechers Thomas Gemini und seiner Ausgabe „Compendiosa totius anatomie delineatio“ von 1545.
Zugang zu Information im nicht-digitalen Zeitalter
Im deutschen Sprachraum fand Vesalius‘ Werk vor allem auch in der deutschen Übersetzung Verbreitung „dadurch man zu erfahrung kommenn mag, welche nicht allein den Artzten […] sonder auch den liebhabern der natur, un[d] den wundartzten hoch von nöten zuwissen“ ist, wie sich Jakob Baumann in der Widmung seines Werkes äußert. Diese Entwicklung hin zu volkssprachiger Fachliteratur ging vor allem auch von Paracelsus aus, der Anfang des 16. Jahrhunderts die erste Vorlesung in deutscher Sprache hielt und viele seiner Werke in deutscher Sprache veröffentlichte. Das war nicht nur ungewöhnlich in der medizinischen Fachwelt, sondern wurde auch größtenteils abgelehnt. Dabei hatte der volkssprachige Buchdruck großes Potential: Wissenschaftliche Themen waren allen Interessierten ohne Sprachbarriere zugänglich und die Grenzen zwischen Fach- und Gebrauchsliteratur verschwammen zugunsten einer breiteren Allgemeinbildung.
Im nächsten Beitrag zum VD16 digital geht es um Akteurinnen im Buchdruckgewerbe. Haben Sie sich eigentlich schon einmal Gedanken über Buchdruckerinnen in der Frühen Neuzeit gemacht?
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