Vom Spielbuch zum Buchspiel – ein Zwischenbericht

Wie viel Buch – genauer: wie viel Spielbilderbuch – steckt im Videospiel? Diese Frage stellt ein von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördertes zwölfmonatiges Forschungsprojekt an der Staatsbibliothek zu Berlin, das Christian Mathieu hier in seinen Grundzügen bereits vorgestellt hat. Seit September 2022 ist die Arbeit daran im vollen Gange.

Mit einer international angesehenen Sammlung von Spielbilderbüchern der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Staatsbibliothek ist die perfekte Grundlage für die Untersuchung dieser Fragestellung gegeben. Die Sammlung bildet mehrere Jahrhunderte internationaler und insbesondere deutschsprachiger Spielbilderbuchproduktion ab. Sie umfasst Bücher mit beiliegenden Spielfiguren, ausfaltbare Bücher zum Aufstellen und Bücher mit aufstellbaren Bildern oder Bücher mit Drehbildern ebenso wie die sich bis heute ungemeiner Beliebtheit erfreuenden Pop-Up-Bücher.

Stand am Ausgangspunkt des bewilligten Forschungsprojekts die begründete Annahme, dass Spielbilderbücher und Videospiele durch eine gemeinsame ludisch-narrative Tradition verbunden sind, so konnte diese bestätigt und Traditionslinien auf mehreren Ebenen identifiziert werden. Ohne Weiteres evident ist sie in den intermedialen Beziehungen, die Videospiele zu Spielbilderbüchern aufnehmen. So begegnet uns in dem durch zahlreiche Auszeichnungen ausgewiesenen Plattform-Puzzle-Spiel it takes two (2021) des in Stockholm beheimateten Hazelight Studios gleich zwei Spielbilderbücher, mit denen die Spielenden interagieren können. Sie stehen hier vor einem Horizont von remediatisierten Spielen und Spielgeräten unterschiedlichster Art, die das Spiel zu einem Meta-Game über das Spielen machen. Spielbilderbücher dürfen hier offenkundig nicht fehlen.

Im Zentrum stehen Spielbilderbücher – speziell Pop-up-Bücher – in interaktiven Bilderbuch-Apps für Endgeräte wie Tablets und Smartphones. An jüngere Kinder adressiert, versuchen sie den Eindruck der Lektüre eines Pop-up-Buchs auf dem zweidimensionalen Bildschirm nachzuahmen, wobei das unmittelbarere Interface berührungssensitiver Bildschirme der Bedienung weniger gestische Hürden setzt als Maus, Tastatur oder Gamepad.

Den Eindruck dreidimensionaler Räume und Objekte in einem zweidimensionalen Medium zu erwecken, ist auch jenseits der Remediatisierung von Spielbilderbüchern eine Gemeinsamkeit von Buch und Videospiel. Verzichten die frühesten Spiele wie Steve Russells Spacewar! (1962) auf die Darstellung von Spielräumen oder geben sie allenfalls rudimentär mittels einfacher linear Grafiken dar wie Pong (Atari, 1972) oder Basketball (Atari, 1978), bietet die Umsetzung der Bewegungsparallaxe mittels gestaffelter Hintergründe (sog. parallax scrolling) die Möglichkeit, Räume mit größerer Tiefenwirkung auszustatten. Ein frühes Beispiel dafür ist Moon Patrol (1982). Die materiell, technisch und historisch eng verwandten Papiermedien wie Spielbilderbuch, Papiertheater, Faltperspektiv und Guckkasten lösen das gleiche Problem schon zweihundert Jahre zuvor auf vergleichbare Weise, namentlich durch die Staffelung zweidimensionaler Papierstreifen im Raum, so dass aus einer (mittels entsprechender Vorrichtungen wie Proszenien oder Okulare durchaus) festgelegten Perspektive der Eindruck von Räumlichkeit erwächst.

In der zweiten Phase des Forschungsprojekts werden die gewonnenen Erkenntnisse gesichert und zugänglich gemacht: Am 22. April 2023 eröffnet im Stabi Kulturwerk die Ausstellung Play it Again! Vom Spielbilderbuch zum Videospiel. Begleitend dazu erscheint eine Open Access-Publikation mit wissenschaftlichen Aufsätzen, die von drei wissenschaftlichen Vorträgen an der Staatsbibliothek zu Berlin flankiert wird. Darüber hinaus werden die erhobenen Forschungsdaten – einschließlich einer über 100 Titel umfassenden Bibliographie einschlägiger Videospiele – im Sinne der der Praxis offener Wissenschaft (open science) zum Abschluss des Forschungsprojekts zur Verfügung gestellt. Neue Wege der Bereitstellung von Digitalisaten und digitalen Repliken dreidimensionaler und beweglicher Objekte beschreitet die Staatsbibliothek in Kooperation mit der Universität zu Köln.

Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

 

 

 

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