Warum die EU-Urheberrechtsreform auch Bibliotheken betrifft

Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission „über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ umfasst auch Regelungen zur Wissenschaft, Lehre und kulturellem Erbe: Zu Text- und Datamining, digitalen Semesterapparaten, Kopien zur Erhaltung und Archivierung des Kulturerbes und zur Digitalisierung von Büchern und Zeitschriften u.a., die vergriffen – d.h. in Läden oder beim Verlag nicht mehr zu bekommen – sind.

Die Dienste und Ressourcen wissenschaftlicher Bibliotheken wie z.B. die der Hochschulbibliotheken oder der Staatsbibliothek zu Berlin sind integraler Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit. Sie stellen in aller Regel nicht nur Literatur zur Verfügung, sondern unterstützen Forschende durch Beratung, z.B. bei der Literaturverwaltung, bei der Recherche, beim wissenschaftlichen Publizieren und sogar beim Umgang mit Forschungsdaten. Gleichzeitig bewahren Bibliotheken das Kulturerbe und stellen dessen Bestandteile als Wissenressourcen zur Verfügung.

EU-Parlament und Rat liefern zum Richtlinienvorschlag Änderungsvorschläge, die dann auf einen Nenner gebracht müssen. Das passiert nun in den „Trilog“-Verhandlungen zwischen Vertretern des EU-Parlaments und des Rates unter Vermittlung durch die Kommission. Was vor allem im Moment noch fehlt, ist eine Position des Rates. Am 18.1. ist der Vorschlag der rumänischen Ratspräsidentschaft für das Verhandlungsmandat mit dem Parlament an der im Rat dafür erforderlichen qualifizierten Mehrheit gescheitert. Jetzt könnte es eng werden, denn bis zur Wahl des Europaparlaments muss das Gesetz verabschiedet werden (s. dazu die Kommentare von Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip und MEP Julia Reda).

Wenn das Parlament und der Rat den Ergebnissen des Trilogs noch rechtzeitig zustimmen, ist die Richtlinie angenommen. Danach folgt eine 2-Jährige Frist zur Umsetzung in den nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten.

Text- und Datamining

Nach Art.3 des Richtlinienentwurfs dürfen Hochschulen und Forschungseinrichtungen jetzt auch in großer Menge digitale Materialien aus (fremden) Datenbanken, auf die sie rechtmäßig Zugriff haben, herunterladen, um sie in einem Index analysierbar zu machen (Text- und Datenauswertung).  Nach Stand des Trilog-Verfahrens werden auch ausdrücklich Hochschulbibliotheken dazu berechtigt. Explizit sind auch Forschung betreibende Einrichtungen des Kulturerbes erfasst. Sie dürfen die gesammelten Daten-Korpora speichern und für Zwecke der wissenschaftlichen Referenzierbarkeit vorhalten. Mit der angestrebten Regelung würde klargestellt, dass die Einrichtungen damit nicht gegen das Urheberrecht verstoßen. Die Referenzierbarkeit dieser gespeicherten Forschungsdaten ist ein wichtiger Aspekt der Guten Wissenschaftlichen Praxis.

Online-Learning

Mit Art. 4 des Richtlinienentwurfs wird ein Rechtsrahmen für Online-Learning in Aussicht gestellt. Nach Stand des Gesetzgebungsverfahrens eröffnet die Regelung allerdings die Möglichkeit, dass die EU-Mitgliedstaaten, die die Richtlinie ja dann in nationales Recht umsetzen müssen, für digitale Semesterapparate  einen Lizenzvorrang einführen dürfen, d.h., dass Dozierende, die ihren Studierenden eingescanntes Lehrmaterial zur Verfügung stellen wollen, ggf. zunächst überprüfen müssten, ob Verlage den betreffenden Aufsatz oder das Buchkapitel auf ihren Angebotsplattformen genau für diese Lernplattform-Nutzung zur Lizenzierung anbieten. Mit der letzten Urheberrechtsreform wurde diese Überprüfungspflicht 2018 in Deutschland gerade erst abgeschafft. Diese Aufhebung wurde im akademischen Hochschulbereich sehr positiv aufgenommen.  Die fachlich kompetenten Dozierenden können derzeit also die Materialien, die sie selbst für ihren Unterricht (z.B. in digitalen Semesterapparaten) nutzen wollen, selbst aussuchen, ohne Einschränkungen und ohne den Markt vorab auf Angebote prüfen zu müssen. Im Laufe des vergangenen deutschen Gesetzgebungsverfahrens wurde bereits vielfach dargelegt, dass eine solche Prüfung allein schon wegen des Zeitdrucks im akademischen Betrieb unrealistisch ist.

Erhaltung des Kulturerbes

Art.5 des Richtlinienentwurfs enthält die EU-weite ausdrückliche Befugnis, dass Einrichtungen des Kulturerbes die für die (Langzeit-)Archivierung notwendigen (auch digitalen) Kopien ihrer Bestände erstellen dürfen. Dabei wird klargestellt, dass Reproduktionen („material resulting from an act of reproduction“) von gemeinfreien Materialien, sofern sie zum Zwecke der Erhaltung  des ursprünglichen Materials vorgenommen werden, nicht urheberrechtlich geschützt sind.  Das ist – gerade in Anbetracht des Deutschen Rechtsstreits um gemeinfreie Gemälde, die auf Wikimedia hochgeladen wurden, naheliegend. Diese Formulierung könnte allerdings auch zu Fehlinterpretationen führen, weil reine Reproduktionen gemeinfreien Materials ohnehin immer gemeinfrei sind.

Vergriffene Werke

Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen dürften nach Art. 7 bis 9 des Richtlinienentwurfs EU-weit unter gewissen Voraussetzungen Bücher und Zeitschriften, die auf dem Markt nicht mehr zu bekommen sind, digitalisieren und ins Netz stellen. In Deutschland gibt es eine ähnliche Regelung bereits, allerdings ist sie recht restriktiv. Auch die Staatsbibliothek zu Berlin macht solche vergriffenen Werke in ihren digitalen Sammlungen zugänglich: Beispiel. Nach derzeitigem Stand der Verhandlungen dürfen in Zukunft neben „vergriffenen“ Werken auch Werke, die nie im Handel erhältlich waren, digitalisiert und ins Netz gestellt werden.

Nicht förderlich für die Zugänglichkeit des in Einrichtungen des Kulturerbes vorhandenen Kulturerbes ist hingegen, dass das Vorliegen einer anderen Erscheinungsform, wie z. B. die Verfilmung, ein Hörspiel oder eine Übersetzung, eine Vergriffenheit ausschließt. Die Verfilmung eines Romans oder die Vertonung von Noten würde also Bibliotheken rechtlich daran hindern, die schriftliche Vorlage zu digitalisieren, auch wenn diese selbst nicht mehr im Handel zu bekommen ist.

Es bleibt zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht von der derzeitig geltenden Stichtag-Regelung abrückt: Werke, die nach 1966 erschienen sind, dürfen nach der restriktiven bisherigen deutschen Regelung  generell nicht als „vergriffene Werke“ digitalisiert werden. Das entscheidende Merkmal einer Regelung über die Nutzung vergriffener Werke sollte jedoch sein, dass das Werk in der jeweiligen oder in einer auf dem Markt konkurrierenden Form aktuell vom Rechteinhaber nicht verwertet wird und insofern mit der Nutzung durch Einrichtungen des Kulturerbes nicht in dessen Verwertungsinteressen eingegriffen wird. Ein Unterschied in dieser Interessenlage zwischen Werken, die 1965 oder etwa 1980 erschienen sind, ist aber nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die Festlegung einer Zeitgrenze (die recht willkürlich gezogen sein muss) führt dazu, dass Werke, die nach diesem Zeitpunkt erschienen sind, für die Öffentlichkeit kaum mehr zugänglich sind, weil sie weder im Handel noch in öffentlichen Bibliotheken, die aus Kapazitätsgründen über die Jahrzehnte hinweg auch gelegentlich Bestände aussondern müssen, angeboten werden.

Leistungsschutzrecht für Presseverleger und Upload-Filter

Auch wenn das nicht auf den ersten Blick erkennbar ist: Auch die vorgeschlagenen Regelungen zum EU-weiten Leistungsschutzrecht für Presseverleger und zum sog. „Upload-Filter“ können Auswirkungen auf die Dienstleistungen wissenschaftlicher Bibliotheken haben:

Das als Art.11. der Richtlinie vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverleger, wonach alle digitalen NutzerInnen verpflichtet wären, Lizenzen von Verlagen zu erwerben, schon wenn sie deren Inhalte nur mit kurzen Textauszügen verlinken wollen, kann auch Bibliotheken und andere Einrichtungen des kulturellen Erbes betreffen, z.B. wenn sie in Online-Katalogen Zeitungsartikel verzeichnen und dabei bibliografische Angaben machen. Ausgenommen von dieser „Link-Tax“ für die digitale Nutzung wären nämlich nur private Nutzungen durch Einzelpersonen. Was dabei nun genau der Schutzgegenstand sein und ob das Leistungsschutzrecht schon einzelne Wörter aus den Presseartikeln umfassen soll, ist nicht klar und wird im Trilog noch diskutiert.

Unklar ist angesichts der Meinungsverschiedenheiten im Rat derzeit noch, ob der in Art.13 vorgeschlagene Upload-Filter überhaupt kommt und ob Publikationsserver („Repositories“) von Universitäten und anderen wissenschaflichen Einrichtungen sowie Bibliotheken davon erfasst werden. Dann müssten sie möglicherweise Systeme einsetzen, die alle dort hochgeladenen Dateien schon vorab auf Urheberrechtsverletzungen filtern, ähnlich dem System „Content ID“, das Youtube verwendet. Problematisch ist das, weil die Nutzung fremder urheberrechtlicher Werke, z. B. im Rahmen des Zitatrechts, bei wissenschaftlichen Publikationen absolut üblich und geboten ist. Mehr noch: Ohne Zitate gibt es keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Die Filter sind nicht in der Lage, zwischen einem unrechtmäßigen Zitat und einem rechtmäßigen Zitat nach § 51 UrhG zu unterscheiden, zumal die Rechtsprechung dazu vielfältig ist und ständig weiterentwickelt wird. Ganz zu schweigen von der internationalen Ebene, auf der eine Vielzahl verschiedener Zitatregelungen und andere Ausnahmeregeln mit Detailunterschieden anzuwenden sind.

Besonders bedenklich ist, dass das erst vor einigen Jahren eingeführte zwingende Zweitveröffentlichungsrecht nach § 38 Abs. 4 UrhG ausgehebelt werden könnte. Im vom EU-Parlament verabschiedeten Art. 2 Abs.1 Nr. 4b der Richtlinie heißt es zwar, dass „Dienste, die nicht für gewerbliche Zwecke handeln, etwa Online-Enzyklopädien, und Anbieter von Online-Diensten, bei denen die Inhalte mit Genehmigung aller betroffenen Rechtsinhaber hochgeladen werden, etwa bildungsbezogene oder wissenschaftliche Verzeichnisse, nicht unter die nach Art. 13 verpflichteten online content sharing service provider” fallen. Hier gibt es allerdings schon wieder eine Unsicherheit, die für Repositorien entscheidend sein kann: Nicht klar ist, ob Verlage, denen exklusive Lizenzen eingeräumt wurden, trotz des zwingenden Zweitveröffentlichungsrechts nach § 38 Abs. 4 UrhG betroffene Rechtsinhaber („right holders concerned“) im Sinne des Art. 2 Abs.1 Nr. 4b der Richtlinie wären. Wäre das nämlich der Fall, würde das gesetzliche Zweitveröffentlichungsrecht weitgehend wirkungslos.

Es bleibt zu hoffen, dass die Interessen der Bibliotheken und ihrer NutzerInnen in den (weiteren) Trilog-Verhandlungen ausreichend berücksichtigt werden. Zum  Stand des Verfahrens hier noch ein topaktueller Post vom Rechtsanwalt.

 

 

 

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