Neue Metadaten für alte Quellen: die Berliner Telemann-Handschriften im Kontext von Schreiber- und Wasserzeichenforschung

Ein Beitrag aus dem Bibliotheksmagazin von Julia Neumann

Heute vor genau 340 Jahren, am 14. März 1681, wurde der große Barockkomponist Georg Philipp Telemann geboren, der im Laufe seines langen Lebens – er wurde 86 Jahre alt – weit über 3.000 Werke aus nahezu allen Gattungen der Vokal- und Instrumentalmusik komponierte. Nicht alle Werke sind allerdings der Nachwelt erhalten geblieben. Dass ein großer Teil des Telemann-Nachlasses ausgerechnet in der Staatsbibliothek zu Berlin landete, ist keineswegs selbstverständlich. „Schuld“ an diesem für die Berliner Bibliothek äußerst erfreulichen Umstand war der Musikaliensammler Georg Poelchau: 1841 konnte die Königliche Bibliothek seinen Nachlass ankaufen und gelangte auf diese Weise in den Besitz etlicher hochwertiger Musikautographen, darunter etwa auch zahlreiche Originalquellen von Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart. Poelchau war mit dem Enkel Telemanns, dem Kantor Georg Michael Telemann, gut bekannt – in Riga war er mehrere Jahre dessen Schüler gewesen. Nach dem Tod des Kantors im Jahr 1831 übernahm Poelchau dann große Teile seines musikalischen Nachlasses. Darin enthalten waren auch etliche Originalhandschriften von Georg Philipp Telemann, denn sein Enkel hatte diese Manuskripte für Aufführungen in Riga verwendet.

Porträt Georg Philipp Telemann, Mezzotinto, Stich: Valentin Daniel Preissler nach einer Vorlage von Ludwig Michael Schneider. - SBB-PK, Signatur: Mus. P. Telemann, G. P. II, 1. . – Digitalisat: SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Porträt Georg Philipp Telemann, Mezzotinto; Stich: Valentin Daniel Preissler nach einer Vorlage von Ludwig Michael Schneider. – SBB-PK, Signatur: Mus. P. Telemann, G. P. II, 1, Ausschnitt. – Digitalisat: SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Was lässt sich nun über die in Berlin überlieferten Telemann-Quellen sagen? Sie betreffen ganz überwiegend Vokalmusik, in geringerer Anzahl sind auch Werke der Instrumentalmusik vertreten. Die Vokalwerke umfassen beinahe alle zu Telemanns Zeit verbreiteten Gattungen: Kirchenkantaten, weltliche Kantaten, Opern, Passionen, Oratorien, Motetten, Psalmvertonungen, darüber hinaus zahlreiche anlassbezogene Werke (z. B. Bürgerkapitänsmusiken für Hamburg, Musik zu Kircheneinweihungen, zu Predigereinführungen oder auch zu Hochzeits- und Trauerfeierlichkeiten).

Die über 130 in der Staatsbibliothek verwahrten Autographe decken entstehungsgeschichtlich eine Zeitspanne von mehr als fünfzig Jahren ab. Dies ermöglicht Erkenntnisse zur Schriftentwicklung Telemanns. Im Vergleich zu anderen Komponisten (etwa J. S. Bach) veränderte sich Telemanns Notenschrift in ihren Grundformen im Laufe seines langen Lebens kaum, jedoch lässt sich seine Spät- bzw. Altersschrift durch ihren etwas zittrigen Schriftduktus gut von der schwungvolleren „Jugendschrift“ unterscheiden.

Frühschrift Georg Philipp Telemanns, ca. 1715. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 62, p. 1, Ausschnitt. – Digitalisat: SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Frühschrift Georg Philipp Telemanns, ca. 1715. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 62, p. 1, Ausschnitt. – Digitalisat: SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

 

Altersschrift Georg Philipp Telemanns, 1762. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 8, f. 1r, Ausschnitt. – Digitalisat: SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Altersschrift Georg Philipp Telemanns, 1762. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 8, f. 1r, Ausschnitt. – Digitalisat: SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neben den Autographen haben sich in Berlin auch ca. 390 Abschriften von Werken Telemanns erhalten, die ebenfalls überwiegend zum Nachlass des Enkels gehörten und über Poelchau in die Staatsbibliothek gelangt sind. Sie stammen mehrheitlich aus dem direkten Umfeld des Komponisten und besitzen daher einen hohen Quellenwert (insbesondere dann, wenn sich ein Autograph nicht erhalten hat). Viele dieser Abschriften entstanden unter Telemanns Aufsicht bzw. wurden von ihm geprüft und bei Bedarf korrigiert.

Für die Einordnung einer Quelle als Autograph oder als Abschrift ist bekanntlich – neben dem detaillierten Studium der Schriftcharakteristika – auch das verwendete Papier von Bedeutung. In diesem Kontext spielt die Bestimmung der Wasserzeichen eine wichtige Rolle, kann doch darüber häufig eine genauere Datierung oder geographische Verortung des Papiers vorgenommen werden. So begegnen beispielsweise in den frühen Autographen aus Telemanns Eisenacher Zeit andere Wasserzeichen als in jenen aus seinen späten Hamburger Jahren oder in Manuskripten aus der „mittleren“ Frankfurter Periode.

Wie verhält es sich nun mit derlei Erkenntnissen (die in der Telemann-Forschung freilich nicht neu sind) im digitalen Raum? Sind heutzutage Metadaten zu Schreibern und Wasserzeichen im Internet zu finden, sind sie dort vernetzt und kontextualisiert, oder sind sie nach wie vor nur analog in Buchform zugänglich? Der Verbesserung der Forschungssituation im Bereich der digitalen Musikphilologie widmete sich in den Jahren 2012 bis 2018 das wissenschaftliche Projekt KoFIM (Kompetenzzentrum Forschung in Information Musik), das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde und an der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin angesiedelt war. Hauptziele des Projekts waren die Tiefenerschließung von mehreren Tausend Musikautographen des 17. bis 19. Jahrhunderts sowie die Anreicherung der Katalogisate mit Images zu Schreibern und Wasserzeichen.

Für die Erstellung des digitalen Schreiberkatalogs wurden Beispielseiten ausgewählt, die die Schrift eines Komponisten oder Kopisten besonders gut illustrieren – im Bereich der Notenschrift kommt es dabei z. B. besonders auf die individuelle Notationsform der Schlüssel, Taktvorgaben, Vorzeichnung, Halsung und der Pausenzeichen an. Diese Beispielseiten wurden anschließend digitalisiert und mit dem Personen-Normsatz des Internationalen Quellenlexikons der Musik (RISM) verlinkt. Im Falle Telemanns wurden insgesamt sechs so genannte Schriftproben erstellt, die der frühen, mittleren und späten Schaffensperiode zuzuordnen sind und einen Eindruck von der Entwicklung bzw. Veränderung seiner Schrift geben, siehe RISM-Eintrag zu Telemann, Georg Philipp.

Im Kontext der Wasserzeichen-Bestimmung wurden im Rahmen des Projekts schwerpunktmäßig die Wasserzeichen der Autographen und anteilig jene der Abschriften digitalisiert. Dabei kam die noch relativ junge Technik der Thermografie zum Einsatz: Seit 2013 befindet sich im Digitalisierungszentrum der Staatsbibliothek zu Berlin eine Thermografie-Kamera, die mittels Infrarot-Sensibilität ein Wärmebild des Papiers erzeugt. Dabei treten Dichte-Unterschiede des Papiers deutlich hervor und die im 18. Jahrhundert überwiegend verwendete Eisengallustinte wird im Infrarotbereich kurzzeitig unsichtbar, sodass keine Schriftüberlagerungen mehr die Sichtbarkeit des Wasserzeichens behindern. Die Überlegenheit dieser Technik gegenüber älteren Verfahren (etwa des Durchpausens oder Abreibens), aber auch gegenüber der digitalen Durchlicht-Fotografie mag ein Wasserzeichen-Bild aus dem Telemann-Autographenbestand illustrieren, das einmal mittels Durchlicht‑Fotografie und ein zweites Mal mittels Thermografie aufgenommen wurde.

Wasserzeichen “Rose mit Buchstaben CR”, Thermografie-Aufnahme. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 62, p. 3. – Thermogramm: Hagen Immel, SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Wasserzeichen “Rose mit Buchstaben CR”, Thermografie-Aufnahme. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 62, p. 3. – Thermogramm: Hagen Immel, SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Wasserzeichen “Rose mit Buchstaben CR”, Durchlicht-Fotografie. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 62, p. 3. – Foto: Hagen Immel, SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Wasserzeichen “Rose mit Buchstaben CR”, Durchlicht-Fotografie. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 62, p. 3. – Foto: Hagen Immel, SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Motiv zeigt eine Rose, umrahmt von den beiden Initialen C und R, die möglicherweise für den Papiermacher Caspar Rose aus Thüringen stehen und damit die von der Forschung angenommene Entstehungszeit (um/vor 1715) und den vermuteten Entstehungsort (Eisenach bzw. Raum Thüringen) stützen würden. Dagegen ist das sowohl im Autographen- als auch im Abschriftenbestand Telemanns häufig vorkommende Zeichen „Krone über Zepter und Schwert (gekreuzt), über Buchstabe N“ der Papiermühle Niemes in Böhmen zuzuordnen und taucht in Papieren auf, die von Telemann erst wesentlich später beschrieben wurden.

Wasserzeichen „Krone über Zepter und Schwert (gekreuzt), über Buchstabe N“, Thermografie-Aufnahme. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 25 , p. 16. – Thermogramm: Hagen Immel, SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Wasserzeichen „Krone über Zepter und Schwert (gekreuzt), über Buchstabe N“, Thermografie-Aufnahme. – SBB-PK, Signatur: Mus.ms.autogr. Telemann, G. P. 25 , p. 16. – Thermogramm: Hagen Immel, SBB-PK / Lizenz: CC BY-NC-SA

Die Wasserzeichen wurden im Rahmen des KoFIM-Projekts zunächst verbal im RISM-OPAC beschrieben und die digital vorliegenden Thermogramme dann in der Spezialdatenbank für Wasserzeichen, dem WZIS (Wasserzeichen-Informationssystem), erschlossen. Hier wurden sie klassifiziert, vermessen, datiert und mit der Quellendatenbank RISM wechselseitig verlinkt. Die beiden gezeigten Wasserzeichen-Thermogramme sind im WZIS unter folgenden Links zu finden:

Gerade in Bezug auf Telemann existieren noch immer zahlreiche Incerta – Werke also, die ihm bis heute nicht sicher zugewiesen werden können – und Quellen bzw. Quellenfragmente, die nicht genau datiert werden können. Eine großflächige Untersuchung der Wasserzeichen, die bislang in der Telemann-Forschung eher an einzelnen Quellengruppen (und mittels älterer Bildgebungs-Techniken) vollzogen wurde, könnte hier weiterhelfen. Die Vorteile der Nutzung thermografischer Verfahren in der Bildgebung sowie der Vernetzung und Kontextualisierung der gewonnenen Forschungsdaten im WZIS liegen auf der Hand.

Die Autorin ist wissenschaftliche Angestellte der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin.

 

Leicht gekürzte und veränderte Fassung eines als „Ein Nachtrag zum 250. Todesjahr des Komponisten“ erschienenen Artikels aus dem Bibliotheksmagazin 2018,2 (S. 53–57).
Das Bibliotheksmagazin erscheint gedruckt und in einer parallelen Online-Ausgabe.

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