Automaten und künstliche Menschen bei E.T.A. Hoffmann – „eine beunruhigende Faszination“
Ein Beitrag aus unserer Reihe Künstliche Intelligenz zum Wissenschaftsjahr 2019
Mit herausragenden Beispielen aus der Automatenbaukunst des 18. Jahrhunderts im Beitrag Künstliche Intelligenz avant la lettre? – Automaten in der Frühen Neuzeit haben wir im Juni bereits auf die berühmten Urahnen aller Künstlichen Intelligenzen und KI-Systeme hingewiesen, die von visionären Ingenieuren wie Jacques de Vaucanson erschaffen wurden. Doch nicht nur Technikwissenschaftler befassten sich mit der Belebung von Maschinen. Das Thema faszinierte die Gesellschaft der Zeit und war auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts allgegenwärtig. Der Musiker, Zeichner und Schriftsteller E.T.A. Hoffmann hat sich in den 1810er Jahren besonders intensiv mit Automaten, belebten Maschinen und roboterhaften Menschen auseinandergesetzt, unter anderem in seinen literarischen Schriften Die Automate (1814), Der Sandmann (1815) und Nussknacker und Mausekönig (1815/1816). Im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin finden Sie zu diesen Werken, dem Autor und dem Automatenmotiv umfassende Forschungsliteratur, zahlreiche digitale Materialien hält das E.T.A. Hoffmann Portal bereit:
Einführungstexte
Für den Einstieg findet sich im Bereich Leben und Werk in der Rubrik Literarische Werke beispielsweise eine Werkinterpretation zum Sandmann von Prof. Marion Bönnighausen. Tiefer ins Thema der Maschinenmenschen führt der Beitrag Automaten von Dr. Arno Meteling im Bereich Erforschen in der Rubrik Charakteristisches. Beide Texte sind mit weiterführenden Literaturempfehlungen angereichert.
Unterrichtsmaterialien
Der Sandmann ist auch eine besonders beliebte Schullektüre. Drei Themenschwerpunkte, darunter das Automatenmotiv, wurden im E.T.A. Hoffmann Portal zu kompletten Lehreinheiten ausgearbeitet und können direkt online oder als PDF-Ausdruck im Schulunterricht verwendet werden. Vom Zitate-Quiz über eine vergleichende Bildanalyse bis hin zu Textinterpretationen und Zeichenaufgaben bietet die Sammlung vielfältig einsetzbares Material, das beliebig kombiniert werden kann.
Digitalisierte historische Ausgaben
Hoffmanns Werke in historischen Ausgaben sofort am Bildschirm lesen – das bietet der Bereich Hoffmann digital. Als Beispiel für die Fülle an digitalisierten Ausgaben soll hier eine Auswahl zu Die Automate dienen:
- Musikalische Novellen, 1954
- Dunkle Mächte, 1920
- Sämtliche Werke, 1912
- E.T.A. Hoffmann’s Werke, 1879
- Erzählende Schriften in einer Auswahl, 1827
Illustrierte Ausgaben
E.T.A. Hoffmann zählt zu den am häufigsten illustrierten Literaten der Welt. Auch seine drei hier genannten Werke zu künstlichen Menschen und Maschinen gibt es in zahlreichen illustrierten Ausgaben. Die Forscherin Elke Riemer-Buddecke zählt beispielsweise allein 159 Illustratoren, die sich im Laufe der Zeit mit einer bildkünstlerischen Umsetzung von Nussknacker und Mausekönig befasst haben. Als Zweit- und Drittplatzierte folgen Der Goldne Topf mit 88 Illustratoren und Der Sandmann mit 72 Illustratoren. Nur Die Automate scheint kaum auf Interesse der Künstler gestoßen zu sein. Interessanterweise wurde der Aspekt der Maschine und des Künstlichen nur selten künstlerisch umgesetzt. So finden sich kaum Darstellungen der Mechanik, dagegen aber viele sehr menschliche Szenen. Einen umfassenden Überblick über die Thematik bietet der sechsteilige Beitrag zur Illustrationsgeschichte von Elke Riemer-Buddecke.
Verfilmungen
Ähnlich nachlässig wie die Illustratoren gingen Regisseure und Filmproduzenten mit Die Automate um. Während hierzu aktuell keine Verfilmungen nachgewiesen sind, wurde Nussknacker und Mausekönig zwischen 1958 und 2015 mindestens vier Mal filmisch umgesetzt, Der Sandmann sogar sieben Mal. Im Bereich Hoffmann im Film findet sich eine Filmografie, die sich unter anderem nach Werktiteln filtern lässt und detaillierte Informationen zu Besetzung, Produktion und Inhalten bereithält.
Studien zum Thema aus unserem Bestand (Auswahl):
- Brückner, Leslie: Die unheimliche Faszination der „lebendigtoten Figur“ (2017)
- Weber, Katharina: „Negromantische Ungetümer“ oder ins Leben getretene Kunstfiguren? Zu E. T. A. Hoffmanns Automaten-Figuren (2014)
- Pagliarulo, Magdalena: Das Motiv der Maschinenfrau von der Romantik bis ins 20. Jahrhundert: weibliche Androiden bei E. T. A. Hoffmann, Fritz Lang und Stanisław Lem (2013)
- Kreuzer, Stefanie: Künstliche Menschen und menschliche Künstlichkeit: E.T.A. Hoffmanns Automaten im Kontext eines SF-Motivkomplexes (2008)
- Elsner, Norbert: Die erste war Olimpia: Hoffmanns Erzählungen von Puppen und Automaten (2004)
- Hilscher, Eberhard: Hoffmanns poetische Puppenspiele und Menschmaschinen (2000)
- Gendolla, Peter: Anatomien der Puppe: zur Geschichte des MaschinenMenschen bei Jean Paul, E.T.A. Hoffmann, Villiers de l’Isle-Adam und Hans Bellmer (1992)
Die Automate
Hoffmanns erstes veröffentlichtes Werk zum Thema liest sich wie ein Lexikon der zu seiner Zeit bekannten Puppen und Automatenarten, von Marionetten über Wachsfiguren und Schachautomaten bis hin zu Spieluhren und automatischen Musikinstrumenten.
Die Erzählung beginnt mit der öffentlichen Vorstellung eines „redenden Türken“ – einem orakelnden Automaten, der auf persönliche Fragen der Zuschauer mit Antworten reagiert, die eigentlich niemand wissen kann. Zwei befreundete Akademiker wollen dem auf den Grund gehen, finden aber ebenso wenig eine Erklärung wie die Leser der Erzählung. Auch ein Besuch bei Professor X, dem Erfinder des Türken und zahlreicher anderer, vor allem Musikautomaten, löst das Rätsel nicht auf. Die Figuren der Handlung schwanken zwischen Faszination und Grauen und die Leser werden mit der Frage allein gelassen, ob die Geschehnisse real sind oder nicht.
Studien zur Erzählung aus unserem Bestand (Auswahl):
- Liang, Xijiang: Zu E. T. A. Hoffmanns „Die Automate“. In: Literaturstraße 17 (2016)
- Wälchli, Tan: „Göttliche Stimme“ und „himmlisches Auge“: die Rhetorik der Säkularisierung und ihr ästhetisches Potential in E.T.A. Hoffmanns „Die Automate“. In: E.-T.-A.-Hoffmann-Jahrbuch 22 (2014)
- Lieb, Claudia: Der gestellte Türke: Wolfgang von Kempelens Maschinen und E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Die Automate“. In: E.-T.-A.-Hoffmann-Jahrbuch 16 (2008)
- Weinholz, Gerhard: E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Die Automate“: eine Kritik an einseitiger naturwissenschaftlich-technischer Weltsicht vor zweihundert Jahren (1991)
- O’Brien, William Arctander: E.T.A. Hoffmann’s critique of Idealism: psychology, allegory and philosophy in ‚Die Automate‘. In: Euphorion 83 (1989)
- Drux, Rudolf: Marionette Mensch. Ein Metaphernkomplex und sein Kontext von Hoffmann bis Büchner (1986)
Der Sandmann
In Hoffmanns wohl bekanntester Erzählung verwischen die Grenzen zwischen Mensch und Automat, denn während der Protagonist Nathanael sich in die bezaubernde Automatenfrau Olimpia verliebt, die er nicht als solche erkennt, beschimpft er seine Verlobte Clara als „verdammter Automat“. Denn die verständlicherweise wortkarge Olimpia erlebt er als tiefgründige und aufmerksame Zuhörerin, Clara dagegen erlaubt sich eine eigene Meinung und verwehrt gelegentlich Lob und Interesse. E.T.A. Hoffmann lässt seinen narzisstischen Protagonisten Mensch und Maschine verwechseln, beeinflusst durch ein Perspektiv, das seine Sinne täuscht. Damit kritisiert der Autor die damalige Wissenschaft und die aufklärerische Gesellschaft.
Studien zur Erzählung aus unserem Bestand (Auswahl):
- Tabbert, Thomas T.: Die erleuchtete Maschine – künstliche Menschen in E.T.A. Hoffmanns ‚Der Sandmann‘ (2006)
- Wawrzyn, Lienhard: Der Automaten-Mensch: E. T. A. Hoffmanns Erzählung vom „Sandmann“ (1990)
- Merkl, Helmut: Der paralysierte Engel: zur Erkundung der Automatenliebe in E.T.A. Hoffmanns Erzählung ‚Der Sandmann‘. In: Wirkendes Wort 38 (1988)
Nussknacker und Mausekönig
Durch Tschaikowskis Ballett Der Nussknacker nach einer Bearbeitung von Alexandre Dumas d.Ä. ist Hoffmanns Kunstmärchen um die Kinder Marie und Fritz berühmt geworden. Ihr Pate, der Obergerichtsrat Droßelmeier, betätigt sich auch als Uhrmacher und schenkt den Kindern am Weihnachtsabend mechanisches Spielzeug. In der Nacht werden Nussknacker und Soldatenarmee plötzlich vor Maries Augen lebendig und müssen sich gegen den angreifenden Mausekönig und sein Heer behaupten. Marie wird in die Geschichte hineingezogen, Phantasiewelt und Realität verschwimmen.
Studien zur Erzählung aus unserem Bestand (Auswahl):
- Schildmann, Mareike: Poetik der Seelenmechanik: Kinder, Puppen und Automaten in E.T.A. Hoffmanns „Nußknacker und Mäusekönig“. In: Kindheit und Literatur (2018)
- Boy, Alina: Marie im Wunderland: Animation und Imagination in Hoffmanns „Nussknacker und Mausekönig“. In: E.-T.-A.-Hoffmann-Jahrbuch 24 (2016)
- Neumann, Gerhard: Puppe und Automate: inszenierte Kindheit in E.T.A. Hoffmanns Sozialisationsmärchen ‚Nußknacker und Mausekönig‘. In: Jugend – ein romantisches Konzept? (1997)
Vorschau: Im nächsten Beitrag entführen wir Sie in die Welt von Sport und Spiel – auch dort ist Künstliche Intelligenz ein Thema!
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