Verzeichniß des musikalischen Nachlasses des verstorbenen Capellmeisters Carl Philipp Emanuel Bach, Hamburg 1790, Eintrag des Autographs von Bachs Weihnachtsoratorium

Bachs musikalisches Vermächtnis für die Weihnachtszeit

Die Staatsbibliothek präsentiert das Weihnachtsoratorium BWV 248 im Kulturwerk

Die Weihnachtszeit ist für viele Menschen ohne die Musik Johann Sebastian Bachs kaum vorstellbar. Besonders sein Weihnachtsoratorium, das heute zu den beliebtesten Werken der Kirchenmusik zählt, gehört in Deutschland zum musikalischen Erbe der festlichen Jahreszeit. Die Musik wurde an Weihnachten 1734 zum ersten Mal aufgeführt, sie ist damit 290 Jahre alt.

Die Seiten mit dieser Musik, die Bach dazu selbst niederschrieb, haben sich in der Staatsbibliothek zu Berlin erhalten, wo die weltweit größte Bachsammlung gepflegt und bewahrt wird. Diese Manuskripte geben nicht nur Einblicke in die Arbeitsweise des Komponisten, sondern zeugen auch von der reichen musikalischen Tradition, die Bach als Komponist seiner Zeit vollendet beherrscht hat.

Die autographen Seiten des Weihnachtsoratoriums vermitteln in ihrer Gesamtheit eine umfassende Darstellung der Weihnachtsgeschichte. Es handelt sich um eine Sammlung von sechs Kantaten für vier Soli, gemischten Chor und Orchester, die Bach für die Festtage zwischen dem ersten Weihnachtstag (25. Dezember 1734) und Epiphanias (6. Januar 1735) komponierte. Der Thomanerchor in Leipzig führte die Kantaten in der Nikolaikirche und der Thomaskirche zum ersten Mal auf. Jede Kantate widmet sich einem besonderen Abschnitt der biblischen Weihnachtsgeschichte, die von der Geburt Jesu über die Verkündigung an die Hirten bis hin zur Anbetung der Weisen reicht.

In der Schatzkammer des Kulturwerks sind ab sofort für drei Monate Seiten aus den Kantaten eins und zwei zu sehen. Die Handschrift befindet sich bereits seit 1854 im Bestand der Bibliothek:

Johann Sebastian Bach, Erste Seite des Weihnachtsoratoriums BWV 248 (Leipzig 1734), Signatur: Mus.ms. Bach P 32

Johann Sebastian Bach, Erste Seite des Weihnachtsoratoriums BWV 248 (Leipzig 1734), Signatur: Mus.ms. Bach P 32

Die handschriftlichen Noten Johann Sebastian Bachs gehören zu den wertvollsten Dokumenten der Musikgeschichte. Sie ermöglichen Forscherinnen und Forschern, aber auch Musikliebhabern und Musikerinnen, den Entstehungsprozess seiner Werke nachzuvollziehen. Denn gerade beim Weihnachtsoratorium hat Bach häufig auf bereits früher entstandene Kompositionen zurückgegriffen. Das sogenannte Parodie-Verfahren, die Wiederverwendung von bereits komponierter Musik auf einen anderen Text, war weit verbreitet. Auch Bach nutzte das Verfahren häufig. So beruht der Eingangschor des Werkes, „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“ auf Musik, die Bach schon einmal 1733 in der Kantate BWV 214 „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten“ auf den Geburtstag der sächsischen Kurfürstin Maria Josepha verwendet hatte. Beim Aufschreiben der Musik des Weihnachtsoratoriums hatte er offenbar den „alten“ Text im Kopf und musste korrigieren.

Abb_2_Ausschnitt_Pauke (002)

Außerdem ist die erste Seite des Oratoriums aufgeschlagen mit der Orchestereinleitung und dem allerersten Einsatz der Pauken.

Abb_3_Ausschnitt_Beginn des Chors

Dies war natürlich besonders passend beim „alten“, beim ursprünglichen Text: „Tönet Ihr Pauken“, doch ist für uns heute das Weihnachtsoratorium mit dem festlichen und charakteristischen Beginn gar nicht anders „denkbar“.

Die 290 Jahre alte Handschrift weist natürlich die Spuren der Zeit auf: gebräuntes Papier und leider auch an einigen Stellen sogenannter Tintenfraß. Bereits im 19. Jahrhundert zeigten sich an vielen Bach-Handschriften Schäden: Die Tinte verursachte „Höfe“ um die Schrift oder sogar Durchbrüche im Papier. Der Komponist hatte überwiegend mit einer Eisengallustinte geschrieben, die sich im Lauf der Zeit durch Umwelteinflüsse chemisch veränderte und das Papier schädigte. Als zerstörerische Substanzen in den verwendeten Tinten wurden Schwefelsäure und Eisenionen erkannt. Dringend wurde nach Lösungen gesucht, um den Zerstörungsprozess zu beenden. Bei Bachs Handschriften war das Verfahren der Papierspaltung als rettendes Mittel erkannt worden, im Jahr 2002 auch alle Blätter des Weihnachtsoratoriums. Beim manuellen Papierspalten wird das Original eines Blattes in Vorder- und Rückseite getrennt und ein alkalisch gepuffertes Papier eingelegt, welches das wieder zusammengefügte Blatt mechanisch von innen stabilisiert. Fehlstellen in den Blättern werden dabei mit feinsten Zellulosefasern von innen ergänzt. Vor der Spaltung der Papiere wurden die Blätter aus der ursprünglichen Bindung gelöst. Sie sind anschließend auch nicht wieder eingebunden worden, sondern lagern heute zusammen mit ihren historischen Belegen (mit Einbänden, Umschlägen oder Beilagen) in staubdichten Kassetten bei einer Klimatisierung auf 50 Prozent relative Luftfeuchtigkeit und konstanten 18 Grad Celsius.

Sowohl für die Digitalisierung wie auch für das Ausstellung der Handschriften ist es von Vorteil, dass die autographen Seiten Bachs nach der sorgfältigen Restaurierung nicht mehr eingebunden worden sind: so wurden in den Jahren 2008/09 alle Bach-Autographen komplett digitalisiert. Sie stehen heute im Internet zur Verfügung und können kostenfrei in den Digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek und über das Portal „Bach digital“ eingesehen werden.

Doch sind es immer wieder neue Fragestellungen oder moderne Forschungsmethoden, die das Konsultieren des Originals unumgänglich machen. Daher setzt die Staatsbibliothek zu Berlin als verwahrende Institution alles daran, ihre bedeutenden Sammlungen als kulturelles Erbe im Original zu erhalten. Auch wenn Notenhandschriften nur ein Medium für die Kunst sein können – denn erst das erklingende Werk ist „das Kunstwerk“ –, so offenbaren Musikhandschriften dennoch wichtige Informationen. Gleichzeitig ist auch die „Aura“ von Autographen nicht zu unterschätzen, betritt man doch beim Betrachten von Originalen gleichsam die Komponierstube Bachs: Der Komponist sitzt bei der Arbeit am Schreibtisch (oder am Instrument?), Papier verschiedener Qualitäten und Größen – zum Beispiel für Briefe oder Kompositionen – ist vorhanden, die damals üblichen Schreibgeräte wie Gänsekiele sowie ein Messer zum Anspitzen und zum Abschaben bzw. Rasieren von Fehlern sind da. Natürlich stehen auch verschiedene Fässchen mit schwarzer oder brauner Tinte bereit. Zum Vorbereiten der Notenlinien wird ein Rastral benutzt, da Bach noch kein gedrucktes Notenpapier zur Verfügung stand. Mit diesen Werkzeugen schrieb Bach seine Musik auf, und die Spuren des Schreibens finden wir heute ganz unmittelbar beim Betrachten der Autographen. Damit können wir dem Komponisten Johann Sebastian Bach ein wenig näherkommen.


Weitere Informationen:

BACH – Ein Weihnachtswunder – hier anschauen (ardmediathek.de)
Am Mittwoch, 18. Dezember 2024, um 20:15 Uhr im Ersten und bereits jetzt und bis zum 18.3.2025 in der ARD Mediathek!

In Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek zu Berlin ist 2018 ein Faksimile der kostbaren Handschrift erschienen.

1 Antwort
  1. Andrea Gubisch sagte:

    Frohe Weihnachten,
    gross wurde angekündigt, dass man über die Feiertage das WO betrachten kann. Und nun stehen wir vor verschlossener Tür und der Mitarbeiter weiss von nichts. Mein Mann ist extra aus Mallorca angereist! Wieso gibt es diese Fehlinformationen allüberall?

    Antworten

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