Digitale Lektüretipps 41: Kuratierte Datensets aus den Digitalisierten Sammlungen: Coding Gender – Empowerment and its Enemies
Ein Beitrag aus unserer Reihe Sie fehlen uns – wir emp-fehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps aus den Fachreferaten der SBB
Das im Folgenden vorgestellte Datenset „Binary / Non-binary“ wurde für den Kulturhackathon „Coding Gender“ zusammengestellt; weitere Informationen dazu finden Sie in unserem digitalen Lektüretipp 5.
Datenset „Empowerment and its Enemies – Der lange Weg zur Emanzipation“
Wie lang der Weg zur Emanzipation wirklich ist, zeigt sich in diesem Datenset vor allem an den vielen Texten, die für Frauen ausschließlich ein Leben innerhalb von Ehe und Familie vorsehen, um die Gesellschaft stabil zu erhalten. Entsprechend unsinnig finden die oft männlichen Autoren den Gedanken eines Frauenwahlrechts und preisen im Übrigen die ‚emotionale Intelligenz‘ der Frauen ebenso wie den strukturierten Verstand der Männer:
„So hat denn die Natur das geistige Interesse der Frau nach einer andern Seite gewandt, und ihr die methodische Durchbildung des Verstandes durch eine angeborene Feinheit und Schnelligkeit des Gesammtempfindens ersetzt, wie sie bei dem männlichen Geiste äußerst selten vorkommt.“ (Heinrich Sybel: Ueber die Emancipation der Frauen. Bonn 1870. S. 14.)
Nur wenige frühe Texte wenden sich gegen derartige Festschreibungen und stehen für eine Verbesserung der sozialen und juristischen Stellung von Frauen ein. Theodor Gottlieb Hippel beweist sich 1792 als Anhänger der Aufklärung, wenn er gleiche Rechte für Frauen einfordert und für eine prinzipielle Gleichheit der Menschen eintritt, die er zur Grundlage des Zusammenlebens erklärt:
„Völker sind sich eben so gleich wie einzelne Menschen, und Geschlechter so wie Völker. Ist nicht durch Unterdrückung des Schwächeren das innere Verderben der Staaten entstanden, woraus denn gerades Weges Unterdrückung und Zerstörung von aussen sich nach und nach ergab?“ (Über Die Bürgerliche Verbesserung Der Weiber. Berlin 1792. S. 409)
Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geraten die traditionellen Konzepte von Weiblichkeit unaufhaltsam in Bewegung: Von Freizeitaktivitäten über Zugang zu Bildung und Wissenschaft bis hin zu Erwerbsarbeit sowie politischer Relevanz und Beteiligung – Frauen erobern mehr und mehr neue Handlungsräume, erweitern ihre Einflusssphäre und nehmen die Debatten über ihre rechtliche und gesellschaftliche Stellung zunehmend selbst die Hand. Während Carl Fressel 1897 befindet, dass Radfahren für Frauen nicht nur angemessen schicklich, sondern vor allem auch gesundheitsförderlich ist, ist 1912 Elise von Hopffgarten die Herausgeberin eines Buches für Pfadfinderinnen, in dem jungen Frauen selbst Verantwortung zugetraut wird, wobei es durchaus auch handfest zugehen darf:
„Also – ruhig Blut und etwas mehr Selbstvertrauen. Auch Mädchen vermögen einem Angehörigen des ‚stärkeren Geschlechts‘ einen ordentlichen Denkzettel zu verabreichen. Voraussetzung hierfür ist weniger körperliche Kraft und Gewandtheit, als Geistesgegenwart und bestimmtes, entschiedenes Auftreten.“ (Hauptmann C. Freiherr v. Seckendorff: Einige wichtige Handgriffe zur Selbstverteidigung. In: Elise von Hopffgarten [Hg.]: Das Pfadfinderbuch für junge Mädchen. München 1912. S. 77.)
Aber auch die Berufswahl von Frauen wird spätestens mit dem Ersten Weltkrieg zu einer drängenden Frage und Frauen werden zudem als wichtige politische Zielgruppe erkannt. So richten sich beispielsweise Flugblätter explizit an Frauen, um den Krieg zu beenden – in diesem Fall allerdings mit einem sehr traditionellen Frauenbild und unter Verunglimpfung von Suffragetten als Kriegstreiberinnen. Die DDP versucht dagegen 1919 Frauen als Wählerinnen anzusprechen und für die Ziele der Partei zu begeistern.
Dass diese zunehmenden Verbesserungen der Stellung der Frau nicht unumstritten waren und der lange Prozess immer wieder Rückschläge hinnehmen musste, zeigt sich in Carry Brachvogels bitterer Satire über die Rolle von Frauen in der Politik aus dem Jahr 1920. In „Eva in der Politik“ zeichnet sie in Form einer märchenhaften Erzählung die Positionen nach, die Frauen über Jahrhunderte von politikmachenden Männern zugestanden wurden und legt dabei nahe, dass noch die jüngsten Entwicklungen des Wahlrechts und der politischen Beteiligung nichts als verfeinerte Ausschlussmechanismen sein könnten:
„Eine kleine Gruppe von Frauen aber […] betrachtete die Gesichter der Männer auf denen ein Lächeln lag. Ein Lächeln, das alles mögliche oder auch gar nichts heißen konnte, denn es waren ja alte Politiker, die es lächelten. […] Der kleinen Frauengruppe kam dies Lächeln allmählich unheimlich vor […]. Sie fragten einander flüsternd, ob die Rede vorhin wohl ernst gemeint gewesen sei, ob wirklich in Zukunft jede Frau das Ministerportefeuille in der Markttasche trage, und nicht am Ende nur den Stimmzettel. Eine heikle Frage! Das Lächeln der Männer gibt keine Antwort darauf und so muß sie wohl oder übel der Zukunft überlassen bleiben.“ (Carry Brachvogel: Eva in der Politik: Ein Buch über die politische Tätigkeit der Frau. Leipzig 1920. S. 92.)
Brachvogel selbst war bis in die 30er Jahre als Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung vor allem in Süddeutschland bekannt und übernahm den Vorsitz des Vereins für Fraueninteressen. Als Tochter einer liberalen jüdischen Familie wurde ihr diese Aufgabe jedoch 1933 entzogen und Brachvogel wurde später in Theresienstadt ermordet. Nach dem Nationalsozialismus geriet ihr Wirken zunächst in Vergessenheit. Jüngst wurde ihr aber wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil, wie eine kurze Doku des Bayerischen Rundfunks von 2019 zeigt.
Eine Übersicht aller Dokumente des Datensets „Empowerment and its Enemies“ finden Sie hier.
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