Ausschnitt aus: Wahrhaftige Arznei wider die Pestilenz. Erfurt: Hans Sporer 1494. Staatsbibliothek zu Berlin. Signatur: 8° Inc 1120 (GW 2738). Public Domain.

Digitale Lektüretipps 13: Inkunabeln der Berliner Staatsbibliothek – digital

Ein Beitrag aus unserer Reihe Sie fehlen uns – wir emp-fehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps

Was tun in Zeiten der Pestilenz? In unserem Digitalen Lektüretipp vom vergangenen Samstag haben wir auf das reiche Online-Angebot einschlägiger Drucke aus dem 16.–18. Jahrhundert hingewiesen. Doch schon unmittelbar nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450 standen zur Beantwortung dieser Menschheitsfrage gedruckte Gesundheitsratgeber sowohl in Latein, der Sprache der Gelehrten, als auch in diversen europäischen Volkssprachen zur Verfügung. Unter dem Sammelbegriff „Pestilenz“ verstand man damals nicht nur die periodisch wiederkehrende Beulenpest, sondern alle Arten von Seuchen und Epidemien, zum Beispiel die Ende des 15. Jahrhunderts erstmals massiv auftretende Syphilis, auch „Mala de Franzos“ genannt.

In ihrer etwa 4600 Exemplare umfassenden Sammlung von Wiegendrucken oder Inkunabeln – also den von den Anfängen des Buchdrucks bis zum Jahr 1500 mit beweglichen Lettern hergestellten Druckwerken – besitzt die Staatsbibliothek zahlreiche Werke zu diesem Thema. Das Profil der Berliner Inkunabelsammlung zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass viele unserer Wiegendruck-Ausgaben weltweit nur in einem einzigen Exemplar erhalten sind.
Ein einschlägiges Unikum aus dem Bereich der deutschsprachigen medizinischen Literatur ist zum Beispiel die Wahrhaftige Arznei wider die Pestilenz, gedruckt 1494 von Hans Sporer in Erfurt (8° Inc 1120; GW 2738). Einzigartig ist auch der gereimte Kurztraktat Von der Pestilenz des berühmten Nürnberger Handwerkerdichters Hans Folz in einer Augsburger Ausgabe von 1483 (8° Inc 86; GW 10147). Folz, der auch als „Bader“ – Laienarzt ohne medizinisches Studium – und als Drucker tätig war, beschließt seinen Text mit dem Hinweis, man solle in pestilentialischen Zeiten vor allem ein Übermaß an Speis und Trank vermeiden: Sich hüten vor der füllerey / das ist die aller höchst erczney (das gilt aber auch generell!).

Wahrhaftige Arznei wider die Pestilenz. Erfurt: Hans Sporer 1494. Staatsbibliothek zu Berlin. Signatur: 8° Inc 1120 (GW 2738). Public Domain.

Wahrhaftige Arznei wider die Pestilenz. Erfurt: Hans Sporer 1494. Staatsbibliothek zu Berlin. Signatur: 8° Inc 1120 (GW 2738). Public Domain.

Dass wir Ihnen neben diesen und anderen Unika insgesamt mehr als ein Viertel aller Bände unserer Inkunabelsammlung in digitaler Form anbieten können, verdankt sich im Wesentlichen einem von 2016 bis 2018 durchgeführten Projekt, das Teil des groß angelegten Digitalisierungs-Masterplans der Staatsbibliothek war. Im Rahmen dieses Pilotprojekts, das der Ermittlung des Arbeitsaufwandes und der Erprobung eines geeigneten Workflows für die hausinterne Mengendigitalisierung seltener und geschützter Materialien diente, wurden über 800 Wiegendrucke gescannt und in höchster Qualität in den Digitalisierten Sammlungen bereitgestellt. Bei der Auswahl der Digi-Kandidaten für das Projekt gab es vier Prioritäten: ihre Einzigartigkeit oder Seltenheit; ihr Nutzen für aktuelle historisch-philologische Fragestellungen; das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Fremddigitalisaten derselben Ausgabe (wir nennen das „Lückendigitalisierung“); und natürlich ihr Zimeliencharakter.

So können wir neben den erwähnten Unika unter anderem bislang unerschlossene, aber besonders im Fokus der Forschung stehende Drucke erstmals online präsentieren, etwa viele der generell seltenen niederdeutschen und niederländischen Inkunabeln. Und natürlich sind die absoluten Highlights der Sammlung hervorzuheben, allen voran die drei bekanntesten Druckwerke der Wiegendruckzeit, deren Originale künftig in dem noch im Bau befindlichen Bibliotheksmuseum bzw. in der Schatzkammer der Staatsbibliothek gezeigt werden.
Das ist zuallererst die um 1454 entstandene Gutenbergbibel in ihrem laut Meinung vieler Expert*innen schönsten erhaltenen Exemplar, das bereits 1661 zum Gründungsbestand der Bibliothek gehörte (2° Inc 1511; GW 4201); zum zweiten die von zeitgenössischer Hand prachtvoll kolorierte, bei Anton Koberger in Nürnberg gedruckte Schedelsche Weltchronik von 1493 (2° Inc 1743e; GW M40784), ein Monumentalwerk der Buchillustration mit über 1800 Holzschnitten; und drittens die rätselhafte Hypnerotomachia Polyphili, 1499 im legendären Druckhaus von Aldus Manutius in Venedig erschienen. Von diesem Meilenstein der Buch- und Illustrationsgeschichte der Renaissance besitzen und präsentieren wir zwei Exemplare (4° Inc 4508 und 4508a; GW 7223).

Biblia. Mainz: Johannes Gutenberg 1455. Staatsbibliothek zu Berlin. Signatur: 2° Inc 1511 (GW 4201). Public Domain.

Biblia. Mainz: Johannes Gutenberg 1455. Staatsbibliothek zu Berlin. Signatur: 2° Inc 1511 (GW 4201). Public Domain.

Wenn Sie sich weiter informieren wollen: Das vollständige Verzeichnis unserer digitalisierten Inkunabeln finden Sie unter https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/suche?category=Inkunabeln – insgesamt fast 1200 sehenswerte Drucke zu allen nur denkbaren Themen, von Ablass über Lehre wie man soll Gutes tun bis Zeichen der falschen Gulden.

2 Kommentare
  1. Avatar
    Barow-Vassilevitch sagte:

    Da fielen mir spontan zwei interessante (handschriftliche) Stücke in Moskauer Bibliotheksbeständen. Das erste ist ein niederdeutsches Gebet, aufgeschrieben im 15. Jh., das man zum Schutz gegen „mala francosa“ mit sich tragen sollte, aus der „Fragmentensammlung Gistav Schmidt“ (vormals Halberstadt, heute Wissenschaftliche Bibliothek der Lomonosov-Universität Moskau, Fonds 40/1, Nr. 48). Das Besondere an diesem Rotulus ist, dass hier anscheinend die älteste bisher bekannte Textschicht dieses Gebets vorliegt (viele interessante Erkenntnisse zum Text und Handschrift: Kathrin Chlench-Priber, Thesen zur Überlieferungs- und Textgeschichte des Gebets ‚De mala francosa‘, in: Deutsch-russische Kulturbeziehungen in Mittelalter und Neuzeit, hg. von N. Ganina [u.a.], Erfurt 2017 (Akademie gemeinnüziger Wissenschaften zu Erfurt. Sonderschriften 49; Deutsch-russische Forschungen zur Buchgeschichte 4), S. 173-185, als Ergänzung zu den Angaben unter http://www.handschriftencensus.de/8235). Es gibt leider kein Digitalisat im Netz, nur eine Abbildung in Farbe (siehe Hinweis unter http://www.handschriftencensus.de/8235), aber da muss man warten, bis die Stabi wieder aufmacht. Das andere Stück – ein handschriftliches Buch aus dem ersten Viertel des 18. Jh. – überliefert französische Übertragung der Pestschriften von Carlo Borromeo, der auf Seelsorgerpflichten in der Pestzeit eingeht. Anläßlich der Pestepidemie in Marseille ließ vermutlich der damalige Bischof von Marseille die Handschrift anfertigen. Aus dem Marseiller Jesuitenkolleg mit Zwischenstation in Deutschland gelangte die Handschrift über ein Mitglied der Zarenfamilie und das von ihm gegründete Institut für Experimentalmedizin an die Russische Staatsbibliothek (Fonds 722, Nr. 16). Ein vollständiges Digitalisat gibt es ebenfalls nicht, aber zumindest ein paar Seiten (samt Beschreibung) unter http://www.manuscripta-mediaevalia.de/#|10.

    Antworten

Ihr Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.