Bilder einer Buchaufstellung – Bibliotheken aus Sicht der Künste

Archive, Bibliotheken und Museen haben ihre gemeinsame Wurzel in den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern der Frühen Neuzeit. Und auch mehrere Jahrhunderte nach Zerfall ihrer Einheit im Prozess der organisatorischen Ausdifferenzierung der drei Sparten hat die Idee, die Welt in die Stube zu holen und in einem universal angelegten Sammlungsraum abzubilden, nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt. Hierauf deuten jedenfalls nicht nur die um die Jahrtausendwende einsetzende Renaissance der Kunst- und Wunderkammer als Konzept und Ausstellungsformat – u.a. zahlreicher Werke des US-Künstlers Mark Dion oder der Sammlungen von Thomas Olbricht und Georg Laue –, sondern überdies der bemerkenswerte Erfolg der kuratierten Concept Stores, deren mit programmatischer Sorgfalt ausgewähltes Produktportfolio neben Mode und Kosmetik nicht selten auch Tonträger, Schreibwaren und Floristik, in aller Regel aber Kunsthandwerk und Bücher umfasst.

Als besonders durchlässig erweisen sich in diesem Zusammenhang die Grenzen zwischen Museen und Bibliotheken, sind letztere doch immer häufiger mit einer Dependance in Ausstellungshäusern vertreten – so im Belvedere 21 oder dem Interimsquartier der Villa Stuck – bzw. sogar Gegenstand eigener Präsentationen. Unter diesen sticht namentlich das Ausstellungsprojekt READ heraus, mit dem das Berliner Künstlerduo Elmgreen & Dragset die Kunsthalle Prag für mehrere Monate in eine öffentliche Bibliothek transformierte. Wie produktiv und innovierend der auf diese Weise beförderte Dialog mit Kunstschaffenden wiederum auf die bibliothekarischen Kernarbeitsfelder zurückwirkt, zeigt prominent die Bibliothek des St. Galler Kunstzentrums Sitterwerk, deren RFID-gestütztes, daher ortsunabhängiges Aufstellungssystem die flexible Produktion individueller Wissensordnungen ermöglicht – ein kreativer kuratorischer Impuls, auf den inzwischen auch andere Kunstbibliotheken und alternative Bibliothekswerkstätten wie die Bibliothek der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst oder die Impossible Library in Hamburg reagieren.

Um diese hier nur oberflächlich betrachteten Entwicklungen etwas tiefer zu sondieren, hat die Staatsbibliothek zu Berlin im Verbund mit der Bibliothek der Universität der Künste Berlin und NFDI4Culture, dem Konsortium für materielle und immaterielle Kultur der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur, im Juni 2024 ein ganztägiges Barcamp unter dem Titel Die Bibliothek als Objekt & die Objekte der Bibliothek organisiert. Diese Veranstaltung richtete sich zwar vorrangig an Kunstschaffende sowie die Angehörigen von Kunsthochschulen, Museen und Bibliotheken, zugleich aber auch an alle mit Interesse, gemeinsam kulturelle Praktiken zu diskutieren, die für Gedächtniseinrichtungen gleichermaßen relevant sind wie für Kreative und die Institutionen des Kunstmarkts – darunter Kuratieren, Kanonisieren, Sammeln oder Vermitteln.

Als Ort für ein solches – häufig auch Unkonferenz genanntes – offenes Veranstaltungsformat ist die Staatsbibliothek schon im Allgemeinen eine naheliegende Wahl, denn mit ihrem hybriden Stabi Lab betreibt sie einen kongenialen kollaborativen Experimentierraum. Für die Durchführung eines Barcamps zur Vermessung des Sichtfelds der Künste auf Bibliotheken kann die Staatsbibliothek im Besonderen sogar als prädestiniert gelten, ist ihr doch die künstlerische Interpretation und Vermittlung der eigenen Bestände von jeher ein Anliegen – zumal als Teil des auch Archive, Museen und Forschungseinrichtungen einschließenden Verbunds der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Für diese Haltung können etwa Olaf Metzels auf Objekten ihrer Zeitungssammlung basierende Monumentalskulptur Noch Fragen? im zentralen Lesesaal der Staatsbibliothek Unter den Linden stehen oder auch ihr Praxisseminar mit der Zürcher Hochschule der Künste zur Erforschung mittelalterlicher Handschriften mit Artistic Research-Methoden. Lenkt man den Blick von den Objekten der Bibliothek auf die Bibliothek als Objekt – um den Titel der Unkonferenz aufzugreifen – gewinnt der Befund einer hohen Affinität der Staatsbibliothek zu künstlerischen Veranstaltungsformaten weiter an Substanz. Angespielt ist damit in erster Linie auf die u.a. von Günther Uecker und Alexander Camaro gestaltete Kunst am Bau der visionären Bibliotheksikone von Hans Scharoun am Kulturforum, die nicht nur im Rahmen zahlreicher Kinofilme – von Wim Wenders Der Himmel über Berlin bis zu Tár – fiktionalisiert, sondern auch mit ihrer charakteristischen Geräuschkulisse zum Gegenstadt eines experimentellen Akustikprojekts gemacht werden sollte.

Konkret adressierte das gemeinsame Barcamp von Staatsbibliothek, NFDI4Culture und Bibliothek der Universität der Künste, an dem knapp dreißig Personen aus Museen, (Kunst)Bibliotheken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland teilnahmen, vier Themenfelder:

Erstens ging es um die Herausforderung, Künstlerbücher und insbesondere alternative, meist im Print-on-Demand-Verfahren selbsthergestellte künstlerische Publikationsformen – so genannte Zines – (ortsverteilt) systematisch zu sammeln sowie vermittels der etablierten bibliothekarischen Nachweissysteme zugänglich zu machen. Da diese Aufgabe bislang nur punktuell – etwa vom Bremer Zentrum für Künstlerpublikationen, dem Archiv für Jugendkulturen Berlin oder dem privaten Archive Artist Publications in München – übernommen wird, diagnostizierten die Teilnehmenden dringenden Handlungsbedarf. Zweitens diskutierte die Unkonferenz die Frage, auf welche Weise Bibliotheken künstlerische Arbeit ermöglichen bzw. unterstützen können? Dabei kamen Stipendienprogramme wie das ÖNB Labs Art Program der Österreichischen Nationalbibliothek, der Künstlerbuchpreis der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel oder das Artist Fellowship der Bibliotheca Hertziana in Rom ebenso zur Sprache wie bauliche Eingriffe zur Erweiterung von Bibliotheken um Atelier- und Ausstellungsflächen nach dem Vorbild z.B. der Extended Library der Hochschule für bildende Künste Hamburg – eine Handlungsdimension, die die Staatsbibliothek künftig mithilfe ihres Stabi Labs engagiert erschließen möchte. Eng damit in Zusammenhang stehend wurden drittens einige Strategieideen entwickelt, um Lesesäle künftig stärker für künstlerische Interventionen wie diejenigen des Berliner Schriftkünstlers Axel Malik zu öffnen und Artistic Research als gleichberechtigte Methode zur Beforschung von Bibliothekständen zu etablieren – ein Thema, das kurze Zeit später auch die Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe Ask a Librarian zum Gegenstand des Symposiums Artistic Research – künstlerische Forschung und Bibliotheken machen sollte. Das Barcamp endete viertens schließlich mit einer Betrachtung seines Potentials als Blaupause für weitere Veranstaltungsformate zur engeren Vernetzung von Bibliotheken, Museen und Kunstschaffenden. In dieser Perspektive betonten die Teilnehmenden insbesondere die Wichtigkeit, Lehrkooperationen mit Kunsthochschulen zu initiieren – in der Hoffnung, auf diese Weise etwaige Berührungsängste auf beiden Seiten bereits frühzeitig abbauen und Neugier auf die jeweils andere Perspektive wecken zu können. Damit aus Staatsbibliotheken letztlich StARTSbibliotheken werden.

 

Ein ausführlicherer Rückblick auf das Barcamp von Nicole Eichenberger, Christian Mathieu, Zoe Schubert und Katja Sternitzke erscheint im Herbst in der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie.

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