Einblicke und Aussichten – Digital Humanities Winterschool der Freien Universität Berlin und der Hebrew University of Jerusalem, Israel

Text und Bilder: Colinda Lindermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin, IIIE: Projekt „Orient-Digital“/Qalamos

Im Projektteam von Qalamos arbeite ich daran mit, dass die Metadaten von Handschriftenkatalogen zu arabischschriftlichen Handschriften sauber in unser Portal eingetragen werden. Im Rahmen des Aufbaus der Datenbank stellt sich auch immer wieder die Frage, wie wir unsere Daten für Digital-Humanities-Anwendungen nutzbar machen und welche Zielgruppen in der Forschung wir mit unseren Daten ansprechen wollen. Das Portal ist im weitesten Sinne Teil des hochaktuellen Forschungsgebiets „Digital Humanities“, das den Einsatz von computergestützten Methoden in den Geisteswissenschaften bezeichnet.

Eine Bildungsreise

Im Rahmen einer von der German Israeli Foundation und dem German U15 Netzwerk finanzierten, von der Freien Universität Berlin und der Hebrew University of Jerusalem organisierten „Winterschule“ wurden Ende Februar zwanzig in Deutschland und zwanzig in Israel arbeitende Forscher:innen nach Jerusalem eingeladen, um an einem intensiven dreitägigen Programm zum Thema Digital Humanities teilzunehmen. Unter ihnen waren einige MA-Studierenden und viele Promovenden und Postdocs, die am Anfang oder auch schon mitten in einem Projekt sind, in dem sie Methoden der Digital Humanities einsetzen oder überlegen, dies zu tun. Die Winterschule war auch für mich eine ausgezeichnete Möglichkeit, einen Einblick in diese Methoden zu erhalten.

Die Winterschule fand im Uni-Gebäude der Jack, Joseph and Morton Mandel School for Advanced Study in the Humanities statt, oben auf Mount Scopus, umgeben vom Botanischen Garten der Hebrew University, in dem viele Pflanzen schon in voller Blüte standen. Nach Westen schaut man auf die Jerusalemer Altstadt; von unserem Seminarraum aus hingegen blickten wir auf Ost-Jerusalem, auf jenen Teil der israelischen Sperranlagen, der mitten durch die Stadt verläuft. Eine befremdliche Erfahrung, zumal die politische Situation in diesen Tagen noch erregter war als sonst: Demonstrationen gegen die Justizreform der neuen israelischen Regierung wechselten sich mit Protesten gegen die Gewalttaten radikaler israelischer Siedler in der palästinensischen Stadt Huwara nahe Nablus ab.

Anregende Einführungen

Neben zwei ausgezeichneten Fachvorträgen, die uns auf das Thema einstimmten und die potenzielle Reichweite von DH-Projekten illustrierten, bestand das Programm aus jeweils anderthalbstündigen Einführungen in gängige Tools der Digital Humanities. Da wir im Vorfeld der Veranstaltung die erforderliche Software bereits installiert hatten, konnten wir direkt in die Thematik einsteigen: wir lernten unter anderem die Basics von Transkribus, einem Programm für OCR und Handwritten Text Recognition. Für Wortfrequenzanalyse und Konkordanzerstellung von größeren Textcorpora setzten wir AntConc ein. Viele DH-Tools zeichnen sich dadurch aus, dass sie als Open-Source-Software verfügbar sind – aber natürlich muss man erst einmal wissen, was es so herunterzuladen gibt! Für die Analyse eines literarischen Stils setzten wir das Stylometry-Paket der Programmiersprache R ein. Die Einführung in OpenRefine zeigte uns, wie man große Datenmengen entwirrt und aufbereitet. Wer von uns saß nicht schon einmal vor einer Exceltabelle voller uneinheitlicher Daten? Zum Thema Netzwerkanalyse lernten wir, wie man mit Gephy Relationen zwischen Personen oder Gegenständen visualisiert. Auch das Datenformat TEI-XML, die Visualisierung von geografischen Daten mit QGIS, Annotation mit dem Tool CATMA und einige Einsatzmöglichkeiten der Programmiersprache Python wurden thematisiert.

Und jetzt ihr!

Die letzte Sitzung am dritten Tag war unserer eigenen Forschung gewidmet: in Kleingruppen entwarfen wir unsere „DH-Pipeline“, d.h. einen Arbeitsablauf von einer Forschungsfrage bis zum Ergebnis und zur Visualisierung unseres Projektes mit Digital-Humanities-Methoden. Die Kursleiter:innen gaben uns Feedback zu unseren Fragestellungen und methodischen Ansätzen. So erfuhren wir auch mehr über die Forschungsprojekte der Kolleg:innen und tauchten tiefer in einige Grundsatzfragen der Digital Humanities ein: wie stelle ich ein Corpus zusammen? Inwiefern beeinflussen die angewandten Methoden die Ausrichtung meiner Untersuchung? Wie ziehe ich aus den Daten die richtigen Schlussfolgerungen? Uns wurde außerdem bewusst, dass neunzig Prozent der Arbeitsleistung eines DH-Projektes in der Vor- und Aufbereitung der Daten liegt, und dass die schicke Grafik am Ende das Ergebnis von viel unsichtbarer Kleinstarbeit ist. Aufregend ist der Gedanke, dass der Einsatz von Methoden aus den Naturwissenschaften und der Mathematik in den Geisteswissenschaften Ergebnisse liefern kann, die mit rein philologischer Arbeit allein schon aufgrund der schieren Datenmenge undenkbar wären.

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