Titelblatt 55 MS 223 (Carl Maria von Weber, Sinfonie Nr. 2 C-Dur WeV M.3)

Neuerwerbung eines Weber-Autographs

Carl Maria von Weber ist nicht unbedingt als Sinfoniker bekannt; neben seinen epochemachenden Bühnenwerken, seinen von den Zeitgenossen hoch geschätzten Liedern und Gesängen, virtuosen Klavier-Vortragsstücken wie der Aufforderung zum Tanze und den Konzerten und Kammermusiken voller Klangsinn stehen die beiden C-Dur-Sinfonien (WeV M.2 und M.3 = JV 50 und 51) weitgehend im Schatten und erklingen heute nur noch selten. Das verwundert nicht, denn Weber wollte sich bei der Komposition nicht mit dem sinfonischen „Titanen“ seiner Zeit, Ludwig van Beethoven, messen, sondern bezog sich ausdrücklich auf das Vorbild Joseph Haydns, dem das erste der beiden Werke ursprünglich auch gewidmet werden sollte (der Erstdruck erschien allerdings mit einer Widmung an den befreundeten Juristen und Musiktheoretiker Gottfried Weber). Während sich Beethoven quasi lebenslang mit der Gattung Sinfonie auseinandersetzte, blieb Webers Beschäftigung mit diesem „Prüfstein“ der Orchestermusik auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzt und war von ganz speziellen Aufführungsbedingungen geprägt.

Im Sommer 1806 hatte Weber im Alter von 19 Jahren seine Position als musikalischer Leiter am Breslauer Theater aufgegeben, um sich wieder stärker dem Komponieren widmen zu können. Eine Einladung des Herzogs Eugen von Württemberg auf dessen Besitzungen im oberschlesischen Carlsruhe (heute Pokój) erlaubte dem jungen Musiker für mehrere Monate ein von finanziellen Zwängen befreites, unbeschwertes Leben. Er wohnte gratis im Umfeld des Schlosses, wo er gern gesehener Gast war, für die musikalische Unterhaltung sorgte und dem Sohn des Herzogs (Eugen II.) Musikunterricht erteilte. Ehrenhalber wurde er sogar zum herzoglichen „Musik-Intendanten“ ernannt, freilich weder mit entsprechenden dienstlichen Obliegenheiten noch mit einer diesbezüglichen Gage verbunden. Der napoleonische Überfall auf Preußen und die nachfolgende französische Besetzung Schlesiens beendeten dieses Intermezzo nach wenigen Monaten. Weber bedankte sich bei seinem Gastgeber mit mehreren Komposition, darunter die beiden Sinfonien, die den Rahmenbedingungen der kleinen Hofhaltung Rechnung trugen, wo nur wenige Berufsmusiker den Kern eines kleinen, wohl aber recht leistungsfähigen Orchesters bildeten, das man heute als ein kleines Kammerorchester bezeichnen würde. Jeder Angehörige bzw. Bedienstete des Hofes, der musikalisch gebildet war, hatte als Dilettant einen Platz in diesem Ensemble zu übernehmen; Militärmusiker der nahen Garnison wurden bei Bedarf zur Verstärkung herangezogen. Die Bevorzugung von Oboe und Horn im Orchestersatz der Sinfonien ist leicht zu erklären: Der Herzog selbst war ein passionierter Oboist, und der Hornist Joseph Dautreveaux, mit dem Weber befreundet war, dürfte zu den Spitzenmusikern des Orchesters gezählt haben. Aber nicht nur bezüglich der Besetzung (ohne Klarinetten) orientierte sich Weber an den lokalen Gegebenheiten, auch die Vorliebe des Herzogs für die Musik Joseph Haydns beeinflusste die musikalischen „Gastgeschenke“, die in relativ kurzer Zeit entstanden: die Sinfonie Nr. 1 um den Jahreswechsel 1806/07, die Nr. 2 kurz darauf zwischen 22. und 28. Januar 1807.

Während Weber die erste Sinfonie des Druckes für würdig erachtete, verschwand ihr Schwesterwerk bald „in der Schublade“, lediglich der raffiniert instrumentierte Adagio-Satz erklang noch 1822 unter seiner Leitung in Dresden.

Carl Maria von Weber, Sinfonie Nr. 2 C-Dur WeV M.3

Carl Maria von Weber, Sinfonie Nr. 2 C-Dur WeV M.3 (Beginn II. Satz, Sign. 55 MS 223)

Trotzdem sind beide Kompositionen gleichermaßen für die Weber-Forschung von besonderer Bedeutung, können sie doch zu den Spitzenwerken des frühen Schaffens gezählt werden, bevor Weber etwa Anfang 1810 (mit seiner gerade beendeten Oper Silvana), wie er in seiner autobiographischen Skizze festhielt, seine musikalische Ausbildungs- und Reifezeit als „abgeschlossen“ betrachtete. Mit dem nochmaligen Unterricht bei Georg Joseph Vogler 1810, quasi einem „Meisterkurs“, den er gemeinsam mit dem jüngeren Giacomo Meyerbeer absolvierte, hatte Weber eine neue Stufe erreicht, wie sich in der Oper Abu Hassan deutlich zeigt.

 

Die Autographen der beiden Sinfonien wie auch der Opern Silvana und Abu Hassan gehörten ursprünglich zum sogenannten Weber-Familiennachlass, der neben Korrespondenz und den Tagebüchern einen wesentlichen Teil des Werkarchivs des Komponisten (überwiegend in Originalhandschriften) beinhaltete. Das Hauptkonvolut dieses Archivs gelangte 1956 als Dauerleihgabe in die Staatsbibliothek (damals Berlin Ost) und wurde ihr vom Ururenkel Hans-Jürgen von Weber 1986 per Schenkung endgültig übereignet. Nur ein kleinerer Werkbestand verblieb in Familienbesitz, darunter die vier genannten Werke. Der Urururenkel des Komponisten, Christian von Weber, hat sich nun entschieden, auch das Autograph der Sinfonie Nr. 2 in die Obhut der Staatsbibliothek zu geben, um dieses wieder in das Werkarchiv einzugliedern und somit der Forschung uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Nach den Erwerbungen der Autographen der Missa sancta Nr. 2 und des Klavierkonzerts Nr. 2 (beide ebenso aus Familienbesitz) sowie der Romanza siciliana für Flöte und Orchester (ebenso ein schlesisches Frühwerk) gelang erneut eine wesentliche Ergänzung des singulären Weber-Bestandes, dessen Geschlossenheit als besonderer Glücksfall für die Musikforschung bezeichnet werden kann. Die Weber-Gesamtausgabe, die mit einer ihrer Arbeitsstellen in der Bibliothek beheimatet ist, findet hier einmalige Arbeitsbedingungen, und die Abstimmungen zwischen Musikabteilung und Gesamtausgabe u. a. bezüglich der Bestandserweiterung und -aufarbeitung (selbstverständlich inklusive Digitalisierung, um die Schätze einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen) nutzen in vorbildlicher Weise Synergieeffekte zu beiderseitigem Vorteil.

Ein echt Haydnscher Überraschungseffekt: Generalpause nach dem Scheinbeginn des Final-Satzes(Carl Maria von Weber, Sinfonie Nr. 2 C-Dur WeV M.3)

Ein echt Haydnscher Überraschungseffekt: Generalpause nach dem Scheinbeginn des Final-Satzes (Carl Maria von Weber, Sinfonie Nr. 2 C-Dur WeV M.3)

 

Autor: Frank Ziegler

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